Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
krank ist unsere Welt an Ideen! Wir versumpfen, Igor Wladimirowitsch, wir waren einmal ein reißender Fluß, aber die Trägheit versumpft uns! Wird es soweit kommen, daß ich zu Malenkow sagen muß: Dein Hintern zittert, liebster Freund, geh hinaus und scheiß dich aus!? – Sie wissen es nicht, aber ich muß alles allein machen! Alles allein! Nur ich denke hier noch! Wenn ich an die Köpfe klopfe – hohle Nüsse!«
    Radowskij blinzelte Smolka hinter Stalins Rücken zu. Nicht antworten! Mit freundlicher Miene zuhören! Ein paar Gläschen hat er getrunken, ich sagte es schon. Dann ist er monologfreudig. Dann badet er sich in eigenen Worten. Zerfleischt, was sich nicht wehren kann. Laß ihn reden, Freund Smolka. Laß ihn gleich brüllen und toben, denn er wird sich hineinsteigern und sich euphorisieren an seiner Menschenverachtung. Darin sind sie alle verwandt, die großen Alleinherrscher: Auf dem Gipfel ihrer Macht leben sie in ewiger Kälte. Sie vereisen …
    Abrupt brach Stalin ab. Er atmete heftig, es klang wie ein hohles Röcheln. Dann klopfte die Pfeife erneut gegen Smolkas Brust, und er sagte, mit milderer Stimme:
    »Wir wollen sehen, Igor Wladimirowitsch. Wir wollen sehen! Ideen sind nur so gut, wie sie brauchbar sind. Wir werden sehen …«
    Er ging zur Tür, winkte den drei Stalins mit einer energischen Handbewegung zu, mitzukommen, und verließ mit ihnen das Zimmer. Smolka entkrampfte sich. Radowskij putzte sich die Nase, als habe er noch einen Winterschnupfen.
    »Es müßte gelungen sein«, sagte er, indem er sein Taschentuch wegsteckte.
    »Und wo ist er mit seinen drei Spiegelbildern hin?« fragte Smolka. »Was glauben Sie, Genosse General?«
    »In diesen Räumen sollte man nicht glauben, Smolka. Nur abwarten. Wie er vorhin klagte: Nur Hunde sind hier, die zugeworfene Knochen apportieren! Welch ein genialer Vergleich!« Die Tür sprang wieder auf und krachte gegen die Wand. Die Stalins kamen zurück. Mit einem breiten Lächeln, das Stalin so berühmt als herzensguter Mensch gemacht hatte, das von den Plakaten strahlte, unter denen stand: Stalin – Kinder, euer Freund! – mit dem Lächeln, das andere satanisch nannten und bei dem Molotow erstarrte, wenn es ihm galt, stellten sich die vier nebeneinander im Zimmer auf. Radowskij hatte nie unter Augenflimmern gelitten, als gesund bis auf den Kern galt er, aber jetzt zweifelte er daran, ob seine Sehnerven wirklich noch unbeschädigt waren.
    Oberst Smolka musterte die vier mit scharfem Blick, dann kapitulierte er.
    »Wer ist der Richtige?« fragte einer der vier Stalins. »Jefim Grigorjewitsch, für dich doch keine Schwierigkeit!«
    Unverkennbar seine Stimme, dachte Radowskij erlöst. Mir kann er nichts vortäuschen! Dieser Tonfall, dieser Unterton ist unnachahmbar. An Kleinigkeiten verrät man sich, Genosse Vorsitzender. Hättest einen anderen sprechen lassen sollen.
    Er trat vor, nickte dem Sprecher zu und sagte befreit: »Sie sind es selbst, Genosse Generalissimus.«
    »Igor Wladimirowitsch?« Stalin blickte Smolka an. »Wie ist's bei Ihnen?«
    Smolka war sich nicht so sicher wie Radowskij. Er blickte jeden der vier scharf an, suchte Unterschiede, fand sie auch, konnte aber nicht sagen, was Original und was Verschiebung war. Er entschloß sich für den Stalin ganz links. Ein spöttisches Lächeln um die Mundwinkel schien ihm Anhalt genug.
    Radowskijs Stalin steckte die Hände in die Jackentasche, als sei die Uniform ein Schlafrock. Auch das war eine beliebte Haltung von Stalin. Er ist's, jubelte Radowskij innerlich. Wir haben so oft miteinander getrunken – ich kenne dich!
    »Ich bin Nikolai Iljitsch Tabun …« sagte Stalin.
    Radowskij hob die Arme. »Ich kapituliere!« sagte er ergriffen. Smolka sah seinen Stalin an. »Ich bin Anton Wasiljewitsch Nuraschwili«, sagte dieser Stalin. Smolka trat zwei Schritte zurück. Seine eigene Perfektion machte ihn sprachlos.
    Mit einem Wedeln der Hand trat der Stalin ganz rechts aus der Reihe. Mit seinem kräftigen Schritt ging er zu einem Sessel und setzte sich.
    »Ich bin einverstanden!« sagte Stalin. »Wenn sogar ihr mich nicht erkennt, vor allem du nicht, Jefim Grigorjewitsch – wie soll mich dann ein anderer erkennen? Oberst Smolka, Ihr Plan ist hervorragend.«
    »Es ist für mich ein große Freude.« Smolka ärgerte sich, daß er sich benahm wie ein gelobter Schuljunge, aber Stalins Wohlwollen war nur mit reinem kindlichem Herzen zu empfangen. »Sie werden von jetzt an keinen natürlichen Gegner von draußen

Weitere Kostenlose Bücher