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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Machtwahn kann genial sein. Sie sollten die gefangenen deutschen Generäle fragen, Smolka. Ich habe einen gefragt, gestern noch, einen General, den wir im Kessel von Mogilew aufgriffen. Wie Kinder, denen man das Weihnachtsgeschenk weggenommen hat, sitzen sie herum. Der Führer war ihr Lebensbaum. Ist das nicht genial?«
    »Ich werde um 23 Uhr vorfahren«, sagte Smolka. Seine Handfläche rieb er an der Hose ab. »Wie ist es mit der Torwache?«
    »Sie hat Befehl, zwei Wagen des NKWD durchzulassen, ohne Kontrolle. Nur Sie müssen sich ausweisen, das genügt dann. Ein Hauptmann Soliakow ist der Diensthabende.«
    »Und wenn er die drei Doppelgänger sieht?«
    »Hauptmann Soliakow wird übermorgen früh zur Front abgestellt. Er übernimmt ein Sonderkommando …«
    Oberst Smolka legte auf. Er kannte Soliakow nicht, aber er bedauerte ihn zutiefst. Schweigen ist eine kränkelnde Sache; für sie muß man Opfer bringen.
    Am Abend rief Smolka noch einmal General Radowskij an. »Was wird Stalin tragen?« fragte er. »Es wäre wichtig, das zu wissen.«
    »Er wird seine Uniformjacke tragen, wie üblich.«
    »Und er ist auf alles vorbereitet?«
    »Ich möchte meinen Lebensabend gemütlich auf dem Land verbringen«, sagte Radowskij säuerlich. »Mit Land meine ich nicht Sibirien …«
    Es war alles aufs beste organisiert, als Smolka eine Viertelstunde vor seinem großen Auftritt am Spasski-Turm hielt und Hauptmann Soliakow an den ersten schwarzen Wagen herantrat. In ihm saß neben dem Fahrer, einem jungen Leutnant des NKWD, der etwas fahle Smolka und hielt seinen Sonderausweis aus dem Fenster. Dabei betrachtete er Soliakow, der im hellen Licht der Durchfahrt stand und peinlich genau das Papier studierte. Morgen früh bist du schon auf dem Weg des Vergessens, dachte Smolka! Hast du Weib und Kinder, einen stolzen Vater, eine liebende Mutter? Umarme sie morgen noch einmal und zieh sie an deine Brust. Ein Abschied für lange ist's …
    Die sonst am Spasski-Turm so zahlreiche Kremlwache war eingezogen und wartete im Wachlokal. Nur Soliakow allein hatte jetzt die Verantwortung. Er gab den Ausweis an Smolka zurück, blickte deutlich desinteressiert, wie man es ihm geraten hatte, über den zweiten Wagen hinweg und winkte, man solle weiterfahren.
    Die Fenster des zweiten Wagens waren mit Tüchern verhängt. Im Fond saßen nebeneinander drei stämmige Männer in einer vereinfachten Marschallsuniform. Zwischen Vorder- und Hintersitzen hatte man eine Sperrholzwand eingezogen, so daß durch die Frontscheibe kein Lichtstrahl nach hinten fiel. Auch der Fahrer des zweiten Wagens, ein Unterleutnant des NKWD, wußte nicht, was sich hinter ihm auf den Polstern herumdrückte und wen er fuhr. Er hatte sich erst hinter das Lenkrad setzen dürfen, als die Fahrgäste längst eingestiegen waren, und er hatte den Befehl, sich sofort außer Sichtweite zu begeben, wenn man vor dem Ministerrats-Gebäude halten würde.
    Die Wagen fuhren langsam an dem ›Ministerrat‹ vorbei, längs der Parkanlage vor dem Haupteingang mit dem Obelisk des Kreml-Kommandanten, und hielten an der Auffahrt. Dort stand völlig allein, als warte er auf die letzte Straßenbahn, General Radowskij. So ganz und gar einsam vor dem Riesengebäude, wirkte er geradezu erbärmlich, wie erdrückt von der Nacht und den ihn umgebenden gewaltigen Steinhaufen, in denen Rußlands Geschichte und Schicksal eingemauert waren.
    Radowskij stieg zu Smolka in das erste Auto, klopfte ihm auf die Schulter und sagte: »Weiterfahren in Richtung Nikolski-Turm. Um das Haus herum und an der inneren Kremlmauer entlang. Ich sage dann halt!«
    Smolka nickte. Er hatte sich für härter gehalten, für den Inbegriff geballter Nervenkraft, für einen Gemütsbullen, den nichts zur Seite warf. Jetzt, in diesen Augenblicken, da sie um den ›Ministerrat‹ herumfuhren und an einer kleinen Tür gegenüber der Kremlmauer mit den Ehrengräbern der ›Unsterblichen‹ hielten, spürte er seinen Herzschlag bis in den Gaumen, und das Klopfen des Blutes drückte gegen seine Augen.
    »Da sind wir!« sagte Radowskij mit teuflischer Gemütlichkeit. Hinter ihm kreischte die Bremse des zweiten Wagens. Der Unterleutnant sprang heraus, stand stramm und stammelte eine Entschuldigung. Smolka nickte wortlos. Wenn ich schon innerlich zerfließe … dachte er. Er winkte ab, der junge Offizier vollführte eine Kehrtwendung und lief dann die Kremlmauer entlang, bis er in der Dunkelheit verschwand. Erst am Senatsturm blieb er stehen und traf

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