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Titel: Sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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danke, das wäre sehr freundlich.«
    Sie trank die zweite Pepsi aus und hielt die leere Plastikflasche zwischen sich und ihn. Durch das Plastik hindurch sah ihr Auge riesig und verzerrt aus, das Auge eines
Zyklopen. Die Seite ihres Kopfes nahm eine wellige, gewölbte Form wie ein Wasserkopf an.
    »Ich werde etwa zwei Meilen aufwärts halten und diese Flasche in den Straßengraben werfen«, sagte sie. »Aber zuvor werde ich selbstverständlich seine Finger darauf drücken.«
    Sie lächelte ihn an - ein trockenes, speichelloses Lächeln.
    »Fingerabdrücke«, sagte sie. »Dann werden sie wissen, dass er an meinem Haus vorbeigefahren ist. Jedenfalls werden sie es glauben , und das ist genauso gut, nicht, Paul?«
    Seine Bestürzung wuchs.
    »Sie fahren also weiter die Straße hinauf, aber sie werden ihn nicht finden. Er wird wie vom Erdboden verschluckt sein. Wie diese Swamis, die auf ihren Flöten blasen, bis ein Seil aus dem Korb aufsteigt, und dann klettern sie an diesem Seil hoch und sind verschwunden. Puff!«
    »Puff«, sagte Paul.
    »Natürlich werden sie nicht lange brauchen, bis sie zurückkommen. Ich weiß das. Wenn sie jenseits meines Hauses außer einer leeren Flasche keine Spur mehr von ihm finden, dann werden sie beschließen, sich doch noch einmal eingehender mit mir zu beschäftigen. Schließlich bin ich ja verrückt, nicht wahr? Das stand in allen Zeitungen. Völlig plemplem!
    Aber zuerst werden sie mir glauben. Ich glaube nicht, dass sie gleich hereinkommen und das Haus durchsuchen wollen - anfangs nicht. Sie werden anderswo suchen und andere Möglichkeiten durchdenken, bevor sie wieder hierherkommen.
Wir werden also etwas Zeit haben. Vielleicht eine Woche.«
    Sie sah ihn ruhig an.
    »Sie werden schneller schreiben müssen, Paul«, sagte sie.

19
    Es wurde dunkel, und die Polizei kam nicht. Annie verbrachte jedoch nicht die ganze Zeit mit Paul; sie sagte, sie wolle die Scheibe in seinem Schlafzimmer austauschen und die Büroklammern und Glasscherben vom Rasen aufsammeln. Wenn die Polizei morgen kommt und nach ihrem vermissten Schäfchen Ausschau hält, dann soll sie doch nichts Ungewöhnliches bemerken, nicht, Paul?
    Lass sie nur unter den Rasenmäher sehen, meine Liebe. Lass sie nur darunter sehen, dort werden sie eine Menge Ungewöhnliches finden.
    Aber so sehr er seine lebhafte Fantasie auch anstrengte, es wollte ihm kein Szenario einfallen, das dazu führen würde.
    »Fragen Sie sich, warum ich Ihnen das alles erzählt habe, Paul?«, fragte sie, bevor sie nach oben ging, um nachzusehen, wie sie das Fenster ausbessern konnte. »Warum ich Ihnen meine Pläne, mit dieser Situation fertigzuwerden, in allen Einzelheiten dargelegt habe?«
    »Nein«, sagte er blass.
    »Teilweise deshalb, weil Sie genau wissen sollen, was dieses Mal auf dem Spiel steht und was genau Sie tun müssen, um am Leben zu bleiben. Sie sollen auch wissen, dass ich sofort ein Ende machen würde, wenn das Buch nicht
wäre. Mir liegt immer noch viel an dem Buch.« Sie lächelte. Es war ein Lächeln, das strahlend und seltsam wehmütig zugleich war. »Es ist wirklich die beste Misery -Geschichte von allen, und ich möchte unbedingt wissen, wie alles ausgeht.«
    »Ich auch, Annie«, sagte er.
    Sie sah ihn verblüfft an. »Aber … Sie wissen es doch, oder nicht?«
    »Wenn ich ein Buch anfange, dann denke ich immer, ich weiß, wie alles ausgeht, aber ich hatte noch niemals eines, das dann auf genau diese Weise geendet hat. Das ist nicht einmal besonders überraschend, wenn man einmal darüber nachdenkt. Ein Buch zu schreiben ist ein wenig so, als würde man eine Interkontinentalrakete abfeuern … nur fliegt es durch die Zeit und nicht durch den Raum. Die fiktionale Zeit, die die handelnden Personen in der Geschichte durchleben, und die reale Zeit, die der Verfasser braucht, alles niederzuschreiben. Wenn ein Roman exakt so aufhört, wie man sich das vorstellte, als man ihn angefangen hat, wäre das, als würde man eine Titanrakete um die halbe Welt schießen und den Sprengkopf durch einen Basketballkorb ins Ziel lenken. Auf dem Papier sieht das gut aus, und es gibt Menschen, die solche Raketen bauen, die Ihnen erzählen würden, dass nichts leichter ist als das - und dabei keine Miene verziehen würden -, aber die Chancen stehen schlecht für sie.«
    »Ja«, sagte Annie. »Ich verstehe.«
    »Ich scheine ein ziemlich gutes Navigationssystem zu haben, denn ich komme immer ziemlich dicht dran, und wenn man genügend Sprengstoff in der

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