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Titel: Sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Raketenspitze hat, dann ist dicht dran meistens gut genug. Momentan sehe
ich zwei Möglichkeiten, das Buch zu beenden. Eine ist sehr traurig. Die andere ist zwar nicht das übliche Hollywood-Happy-End, aber es lässt doch immerhin ein wenig Hoffnung für die Zukunft.«
    Annie sah ihn aufgeschreckt an … und plötzlich erbost. »Sie denken doch nicht daran, sie noch einmal zu töten, Paul?«
    Er lächelte ein wenig. »Was würden Sie tun, wenn ich es täte, Annie? Mich umbringen? Das macht mir kein bisschen Angst. Ich weiß vielleicht nicht, was mit Misery geschehen wird, aber ich weiß, was mit mir geschehen wird … und mit Ihnen. Ich werde ENDE unter das Manuskript schreiben, Sie werden es lesen, und dann werden Sie auch ein Ende schreiben, nicht wahr? Unser Ende. Ich muss meine Fantasie wirklich nicht anstrengen, um mir das zu denken. Die Wirklichkeit ist gar nicht seltsamer als die Fiktion, einerlei, was man sagt. Meistens weiß man ganz genau , wie etwas enden wird.«
    »Aber …«
    »Ich glaube, ich weiß, welches Ende ich nehmen werde. Ich bin mir zu achtzig Prozent sicher. Wenn es so kommt, dann wird es Ihnen gefallen. Aber selbst wenn es so endet, wie ich denke, wird keiner von uns beiden die genauen Einzelheiten kennen, bevor ich sie niedergeschrieben habe, nicht wahr?«
    »Nein - ich denke nicht.«
    »Erinnern Sie sich noch, wie es in dieser alten Werbung für die Greyhound-Busse hieß? ›Die Anreise ist schon der halbe Spaß.‹«
    »Wie auch immer, es ist fast vorbei, oder nicht?«
    »Ja«, sagte Paul, »fast vorbei.«

20
    Bevor sie ging, brachte sie ihm noch eine Pepsi, eine Schachtel Ritz-Crackers, Sardinen, Käse … und die Bettpfanne.
    »Wenn Sie mir das Manuskript und einen Schreibblock bringen, dann kann ich mit der Hand weiterschreiben«, sagte er. »Das wird mir die Zeit vertreiben.«
    Sie dachte darüber nach, schüttelte dann aber bedauernd den Kopf. »Ich wünschte, Sie könnten es, Paul. Aber das würde bedeuten, dass ich mindestens ein Licht anlassen muss, und das kann ich nicht riskieren.«
    Er dachte daran, allein in diesem Keller zurückgelassen zu werden, und spürte, wie hitzige Panik in ihm aufstieg, aber nur für einen Augenblick. Dann wurde ihm kalt. Er spürte, wie er eine Gänsehaut bekam. Er dachte an die Ratten, die sich in ihren Löchern und Gängen im Gemäuer versteckten. Dachte daran, wie sie herauskamen, wenn es im Keller dunkel wurde. Dachte daran, dass sie vielleicht seine Hilflosigkeit riechen konnten.
    »Bitte lassen Sie mich nicht im Dunkeln hier, Annie. Bitte tun Sie das nicht.«
    »Ich muss. Wenn jemand Licht in meinem Keller sieht, dann kommt er vielleicht näher, um nachzusehen, Kette an der Einfahrt oder nicht, Zettel oder nicht. Wenn ich Ihnen eine Taschenlampe gebe, dann versuchen Sie vielleicht, damit Signale zu geben. Wenn ich Ihnen eine Kerze gebe, dann versuchen Sie vielleicht, das Haus damit niederzubrennen. Sehen Sie, wie gut ich Sie kenne?«
    Er wagte kaum, seine Ausflüge aus seinem Zimmer zu erwähnen, weil sie das immer wütend machte; aber jetzt trieb ihn die Angst, hier unten im Dunkeln allein gelassen
zu werden, dazu. »Wenn ich das Haus niederbrennen wollte, Annie, dann hätte ich das schon vor langer Zeit tun können.«
    »Damals lagen die Dinge anders«, sagte sie knapp. »Es tut mir leid, dass Sie nicht gern im Dunkeln sind. Es tut mir leid, dass es sein muss. Aber es ist Ihre eigene Schuld, also hören Sie auf, sich so anzustellen. Ich muss jetzt gehen. Wenn Sie meinen, dass Sie die Injektion brauchen, dann spritzen Sie sie sich in den Oberschenkel.«
    Sie sah ihn an.
    »Oder stecken Sie sie sich in den Arsch.«
    Sie ging zur Treppe.
    »Dann verhängen Sie die Fenster!«, rief er hinter ihr her. »Nehmen Sie ein Bettlaken … oder … oder … malen Sie sie schwarz an … oder … Himmel, Annie, die Ratten! Die Ratten! «
    Sie war auf der dritten Stufe. Sie blieb stehen und sah ihn mit Augen an, die wie staubige Münzen waren. »Ich habe keine Zeit für solche Dinge«, sagte sie, »und die Ratten werden Sie nicht belästigen. Sie erkennen Sie vielleicht sogar als einen der Ihren, Paul. Vielleicht adoptieren sie Sie.«
    Annie lachte. Sie ging die Treppe hinauf und lachte immer heftiger. Es machte klick , als sie das Licht ausschaltete, und Annie lachte immer weiter, und er sagte sich, dass er nicht schreien würde, nicht flehen; dass er das alles hinter sich hatte. Aber die klamme Unbändigkeit der Schatten und ihr dröhnendes Lachen waren zu

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