Sieben
und Licht, in ausgebleichten Farben, zwar weniger genau als eine Fotografie, doch lebendiger, Bewegungen und ferne Geräusche andeutend, als sähe man die Szenerie aus großer Entfernung durch irgendeine primitive, unpersönliche Linse.
Das Bild zeigte einen kleinen Jungen, der sich an die Wurzeln eines Baumes kauerte. Er trug kurze Hosen, ein loses Hemd und Strümpfe. Kein Schuhwerk. Hände und Beine waren mit Strikken gefesselt. Auf den ersten Blick wirkte es, als schliefe er, doch genaueres Hinsehen ergab, daß seine Brust sich hob. Er hustete oder weinte. Es war schwer zu sagen - bis das unheimliche und unmißverständliche Geräusch mitleiderregender, jämmerlicher Kinderschreie in den Raum gefiltert wurde.
»Herr im Himmel, er ist es, er ist es!« ächzte Lady Nicholson. Der Anblick schien sie zu beruhigen, denn sie verfiel nicht in Verzagtheit, sondern in eine entzückte, fieberhafte Munterkeit. Weitere Einzelheiten der übernatürlichen Daguerreotypie wurden sichtbar: Einige Schritte von der Stelle entfernt, an der der Junge auf einem vom Frost getönten Blätterteppich lag, strömte ein Bach durch den Wald. Ein Strick band die Handgelenke des Jungen an den niedrigen Ast des benachbarten Baumes. Hinter ihm war der Wald dichter, standen die Bäume enger zusammen. Tannenwald. Auf dem Boden, zu den Füßen des Jungen, lag ein Gegenstand: klein, viereckig, von Menschenhand erschaffen. Eine Blechdose mit Buchstaben... K-U-I... »Willie!« rief Lady Nicholson.
»Wo ist er? Wo ist er?« fragte ihr Bruder, die mögliche Tatsache, einen Frevel begangen zu haben, durch verblüffte Verwunderung mildernd.
Das in sich selbst versunkene Medium zeigte keine Reaktion.
»Heraus damit!« verlangte der Bruder, womit er meinte, sie solle weiterreden. Doch die Luft im Raum wurde von mißtönendem Trompetengeschmetter zerrissen, einem irrsinnigen Schrillen, das von keiner erkennbaren Harmonie und keinem Rhythmus zusammengehalten wurde. Doyle fühlte sich von dem niederdrückenden Gewicht der Vibrationen wie gelähmt, attackiert und an die Stelle genagelt.
»Gabriels Posaune!« schrie der Mann zu seiner Linken.
Nun kroch etwas Schwarzes und Ekelhaftes an den Rand des über ihnen schwebenden Bildes: Ein Schatten, den man mehr spürte, als daß man ihn sah. Ölig, faulig, bösartig und Masse ansammelnd, die dennoch nicht miteinander zu verschmelzen schien. Die Präsenz, nur eine Andeutung, brachte sich selbst ins Bild, sickerte durch das gespenstische Gehölz und näherte sich dem hilflosen Kind.
Die unweigerliche Überzeugung, daß er diese Entität am vergangenen Abend im Hausflur vor seiner Tür gesehen hatte, ließ Doyle vergeblich nach einer vernünftigen Erklärung tasten. Sein Bewußtsein schrie ihm zu:
Dies bedeutet nicht den Tod, sondern die Vernichtung.
Der kakophone Alptraum wurde ohrenbetäubend. In der Luft, neben dem Bild, tauchte eine unstet tanzende, lange Posaune auf.
Und das ist ihr erster Fehler ..
. Der Gedanke fraß sich in Doyle fest. Sah er da nicht das verräterische Schimmern von Fäden am Posaunenkelch?
Das Phantom schlängelte sich in einer hungrigen Spirale um den Jungen, saugte den letzten Lichtrest aus dem Bild, verschluckte die Geräusche seiner Schreie und schien kurz davor, ihn an einem Stück zu verschlingen. Lady Nicholson kreischte auf.
Doyle sprang auf und riß seine Hände los. Er hob seinen Stuhl und schleuderte ihn auf das Bild; es zerbrach wie flüssiges Glas, löste sich auf und verschwand im Nichts. Die Drähte, an denen es hing, zerrissen; die Posaune schepperte laut auf den Tisch.
Um dem Hieb zu entgehen, von dem er wußte, daß er kam, warf Doyle sich zur Seite und spürte, wie die Faust des Mannes zu seiner Linken genau unter seinem Schulterblatt auftraf. Mit einer raschen Bewegung riß er die Posaune vom Tisch, schwang sie wütend herum und traf den Vierschrötigen seitlich im Gesicht. Blut spritzte aus einer Wunde, als der Mann stolperte und auf die Knie fiel.
»Gauner!« schrie Doyle wütend. Er griff in die Tasche, um den Revolver zu ziehen, doch ein fester Schlag landete auf seiner rechten Halsseite und lähmte seine tastende Hand und den Arm. Als er sich umdrehte, sah er, daß der Finstere einen Totschläger hob, um ihn erneut zu benutzen. Doyle hob den linken Arm, um ihn abzuwehren.
»Narr!« stieß die Stimme aus dem Mund des Mediums hervor. Mit flammenden Augen und einem bösartigen Grinsen stieg es rasch in die Luft über dem Tisch auf. Der Finstere, nun
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