Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sieben

Sieben

Titel: Sieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
Vom Netzwerk:
sich Doyle mit einem Taschentuch über die Stirn.
    »Wenn die Kraftlinien-Geschichte stimmt«, sagte Doyle, nicht ohne Genugtuung über die Scharfsinnigkeit seiner Retourkutsche, »wenn dieser Weg tatsächlich geheiligt ist wie erklären Sie dann die Tatsache, daß er in diesem saumäßigen Zustand ist?«
    »In dieser einen Bemerkung, Doyle, drücken Sie mit epigrammatischer Präzision die grundlegende Tragödie des modernen Menschen aus. Wir sind in Ungnade gefallen, haben unsere uralte, instinktive Verbindung zur natürlichen Welt vergessen. Wir sind Gäste, die das Haus, in dem wir leben, nicht mehr respektieren, weil wir es eigentlich nur noch wie einen Lehmhaufen behandeln, den wir unseren niedrigsten Bedürfnissen anpassen. Denken Sie an die Leichenhausfabriken Londons, die stinkende Luft, die Gruben, die Kinderarbeit. An die zahllosen entwerteten Leben, die die infernalischen Maschinen unserer Zeit zerbrechen und beiseite werfen. Die beredten Ruinen dieses simplen Landweges beschreiben den schlußendlichen Niedergang unserer prahlerischen Kultur.«
    Doyle spürte, daß ein Kitzeln seinen Körper durchlief, doch ob daran der überraschend milde Ausbruch seines Gefährten oder irgendeine Kombination aus Hunger und Sonnenstich schuld war, vermochte er nicht zu sagen. Es war inzwischen fast Mittag und ungewöhnlich warm für die Jahreszeit. Flimmernde Hitze massierte die Horizontlinie.
    »Was ist das?« fragte Doyle und deutete auf den Weg hinter ihnen.
    Als sie auf ihrem Weg durch das Tal eine Abfolge sanfter Hügel erstiegen und hinter sich gelassen hatten, bemerkte Doyle, daß ihnen eine dunkle Erscheinung auf der Straße wie eine Fata Morgana entgegenflatterte. Ihre rhythmischen, flüssigen Bewegungen erinnerten an den Flügelschlag einer Riesenkrähe.
    »Vielleicht verschwinden wir lieber von der Straße«, sagte Doyle.
    »Nein.«
    »Halten Sie das für ... ahm ... klug, Jack?«
    »Wir sind nicht in Gefahr«, sagte Sparks und blieb stehen. Kurz darauf vernahmen sie Hufschlag. Es war ein einzelnes Pferd; es lief in gleichbleibendem Galopp. Plötzlich durchdrang die Gestalt das flirrende Band aus reflektierenden Sonnenstrahlen und entpuppte sich als einzelner Reiter, den ein langer schwarzer Umhang umwehte. Als er näherkam, wurde er langsamer, und Doyle erblickte zu seiner Überraschung ein vertrautes Gesicht.
    »Na so was, es ist Barry. Er ist es doch, oder?« Die Aussichten verliehen ihm unerwarteten Auftrieb.
    »Nein«, sagte Sparks. »Es ist nicht Barry.«
    Er ging weiter, um den auf dem Pferd sitzenden Ankömmling
    zu begrüßen, und der Mann, der laut Doyles Augen Barry, ihrem vorherigen Kutscher, wie aus dem Gesicht geschnitten warffsaß ab und schüttelte Sparks die Hand.
    »Gut gemacht, Larry«, sagte Sparks. »Dann hat es also keine Probleme gegeben.«
    »Hab die Augen immer aufm Boden gehabt, Sir«, sagte Larry, von dem Doyle noch immer fest annahm, daß er Barry war. »Gab nichʹs kleinste Problem.«
    »Larry meint die Beeren und das, was ich auf dem Weg verstreut habe«, erklärte Sparks Doyle, als sie bei ihm waren. »Es gibt keinen zweiten Fährtensucher in England, der einer solch mageren Spur folgen könnte.«
    »Außer Ihnen, Sir«, fügte Larry bescheiden hinzu. Er kam aus dem East End und war so drahtig und kompakt wie Barry. Doyle, der noch immer der festen Überzeugung war, ihren Kutscher aus London vor sich zu haben, bemerkte, daß er das gleiche lockige braune Haar und die gleichen blauen Augen wie Barry hatte.
    »Larry und Barry sind Brüder«, sagte Sparks, der Doyles offene Verwirrung bemerkte. »Eineiige Zwillinge.«
    »Warʹn wir wenigstens mal«, sagte Larry. »Barry hat nämlich ʹne Narbe, Sir, daran kann man erkennen, wo wir uns unterscheiden.« Er hielt Doyle zum Beweis seine glatte rechte Wange hin.
    »Stimmt«, sagte Doyle. »Er hat keine Narbe.« Als hätte er es von Anfang an gewußt.
    »Larry und Barry sind in gewissen Londoner Kreisen eine Art Legende«, sagte Sparks. »Die gerissensten Schränker, die Sie in Ihrem Leben je kennenlernen werden.«
    »Schränker?«
    »Einbrecher«, sagte Larry mit einem freundlichen Lächeln, als unterhielte er sich mit seiner jungfräulichen Tante über die Etikette einer Teeparty. »War früher mal in der Zunft der Einsacker und Klaubrüder; Fachmann für Keil, Brecheisen und Zentrumsbohrer, wenn Sie verstehn, was ich mein.«
    »Ich verstehe ganz genau, was Sie meinen«, sagte Doyle, brüskiert darüber, wie selbstverständlich der Mann

Weitere Kostenlose Bücher