Sieben Jahre später
Trennlinie zwischen dem, was er dem FBI offenbaren, und dem, was er lieber verschweigen wollte. Die Wahl war nicht einfach. Seit er in seinem Wagen saß, versuchte er vergeblich, ein Puzzle zusammenzusetzen, von dem ihm zu viele Teile fehlten. Eine brennende Frage quälte ihn: Warum versteckte Jeremy ein Kilo Kokain in seinem Zimmer? Auf diese Frage fand er nur eine Antwort: Weil er es gestohlen hatte. Wahrscheinlich dem Chef dieser Kneipe namens Boomerang . Als ihm die Tragweite seiner Tat bewusst wurde, war er vermutlich in Panik geraten und geflohen, um dem Dealer zu entkommen.
Aber wie hatte er in diesen Albtraum abgleiten können? Sein Sohn war kein Dummkopf. Die Vorfälle, bei denen er bisher mit der Justiz zu tun gehabt hatte, waren nur ein kleiner Diebstahl und eine harmlose Sachbeschädigung gewesen. Nichts, was auch nur im Entferntesten mit einem Schwerverbrechen Ähnlichkeit hatte.
Plötzlich konnte man wieder schneller fahren. Der Expressway verschwand in einem langen Tunnel, bevor er am Ende der Kais des East River erneut ans Tageslicht führte.
Sebastians Handy vibrierte in seiner Tasche. Es war Joseph.
»Es tut mir leid«, erklärte der Werkstattleiter, »aber wir haben den Auftrag verloren. Furstenberg wird die Expertise für die Bergonzi erstellen.«
Sebastian akzeptierte diese Information ungerührt. Momentan erschien ihm das alles lächerlich. Er nutzte die Gelegenheit, um Joseph unvermittelt zu fragen: »Hast du eine Vorstellung, wie viel ein Kilo Kokain kostet?«
»Wie bitte? Machst du Witze? Was ist los mit dir?«
»Das ist eine lange Geschichte. Ich werde es dir später erklären. Also?«
»Ich habe keine Ahnung«, gestand Joseph. »Ich komme eher mit einem zwanzigjährigen Single Malt auf Touren …«
»Für Scherze habe ich jetzt keine Zeit, Joseph.«
»Okay … das dürfte von Qualität und Herkunft abhängen …«
»Darauf bin ich auch schon gekommen. Kannst du im Internet recherchieren?«
»Warte, ich rufe mal Google auf. Da haben wir es. Was soll ich eingeben?«
»Mir egal, aber beeil dich.«
Das Mobiltelefon zwischen Ohr und Schulter geklemmt, erreichte Sebastian einen Baustellenbereich. Ein Arbeiter, der mit der Verkehrsregelung beauftragt war, machte ihm ein Zeichen, eine Umleitung zu nehmen. Eine Kurve, die ihn Richtung Süden führte, wo ein erneuter Stau die Ausfahrt blockierte.
»Ich habe einen Artikel gefunden, der hilfreich sein könnte«, sagte Joseph nach einigen Augenblicken. »Hier, hör mal zu: ›Neunzig Kilo Kokain im Wert von schätzungsweise etwas über fünf Millionen Dollar wurden in einem Parkhaus in Washington Heights sichergestellt.‹«
Sebastian dachte nach.
»Wenn neunzig Kilo mehr als fünf Millionen wert sind, ist ein Kilo …«
»… etwas weniger als sechzigtausend Dollar wert«, ergänzte Joseph. »Kannst du mir jetzt erklären …«
»Später, Joseph. Ich muss Schluss machen. Ich danke dir.«
Sebastian hatte einen Plan. Das war zwar eine große, nicht aber unerschwingliche Summe. Jedenfalls konnte er sie sich rasch in bar beschaffen. Er würde folgendermaßen vorgehen: Er würde ins Boomerang gehen und diesem Drake Decker einen Deal vorschlagen, den der nicht ablehnen könnte: Er würde ihm den gesamten Wert der Drogen ersetzen und zusätzlich eine Provision von vierzigtausend Dollar zahlen als Ausgleich für die Unannehmlichkeiten und gegen das Versprechen, Jeremy zu vergessen.
»Geld ist die einzige Macht, vor der die gesamte Menschheit auf die Knie fällt«, pflegte man in seiner Familie zu sagen. Diesen Ausspruch hatte sein Großvater wohl einem Buch entnommen und daraus eine Art Mantra gemacht, eine Familiendevise, die das Leben der Larabees seit Jahrzehnten prägte. Lange hatte Sebastian diese Denkweise verachtet, heute aber diente sie ihm als Orientierung. Nun hatte er wieder volles Vertrauen in die Zukunft. Die Dinge würden sich regeln. Er würde den Dealer bezahlen, um die Gefahr von seiner Familie abzuwenden. War die Bedrohung erst einmal gebannt, würde er seinen Sohn wiederfinden und dessen Erziehung in die Hand nehmen und seine Freunde überprüfen. Es war noch nicht zu spät. Letztlich könnte sich diese Episode sogar als heilsam erweisen.
Gut. Seine Entscheidung stand fest. Er hatte keine Minute zu verlieren.
Er erreichte das Autobahnkreuz, von dem aus man die Manhattan Bridge erreichte, aber anstatt auf die Brücke zu fahren, machte er kehrt und fuhr in Richtung Brooklyn.
Er steuerte das Boomerang an.
Kapitel
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