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Sieben Jahre später

Sieben Jahre später

Titel: Sieben Jahre später Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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eine Atmosphäre von Ruhe, Bildung und Wissen. Kaum zu glauben, dass man sich mitten in Manhattan befand, nur wenige Häuserblocks von den lauten und beliebten Attraktionen des Times Square entfernt.
    Innerhalb weniger Sekunden aber war es mit dieser klösterlichen Stille vorbei. Eine erste Schülerin kam die Stufen der Außentreppe herunter. Anschließend verteilten sich die jungen Mädchen in kleinen Gruppen auf dem Bürgersteig.
    Lachen und Rufe ertönten. Den Schuluniformen und Bubikragen zum Trotz drehten sich die Gespräche um weniger brave Themen: Es ging um Jungen, Ausgehen, Shoppen, Diäten, Twitter und Facebook.
    An den Sattel ihres Motorrads gelehnt, kniff Nikki die Augen halb zusammen und versuchte, inmitten dieses Bataillons von Schülerinnen Camille auszumachen. Ungewollt schnappte sie einige Gesprächsfetzen auf. Flüchtige Bemerkungen einer Generation, die ihr fremd geworden war. »Ich finde den Stephen echt geil!«, »Ich bin voll in love! «, »Diese SK-Lehrerin stresst mich irre!«, »Das kotzt mich an!«, »Ich bin total angepisst!«
    Schließlich entdeckte sie erleichtert ihre Tochter.
    »Was machst du denn hier, Mum?«, fragte Camille und riss die Augen auf. »Ich habe gesehen, dass du mir eine Nachricht hinterlassen hast.«
    »Ich habe nicht viel Zeit, dir alles zu erklären, Schatz. Hast du in den letzten Tagen etwas von Jeremy gehört?«
    »Nein«, versicherte Camille.
    Nikki informierte sie über das Verschwinden ihres Bruders. Um sie nicht zu ängstigen, erwähnte sie jedoch weder die verwüstete Wohnung noch die Drogen.
    »Papa möchte, dass du bei deiner Großmutter bleibst, bis die Sache geklärt ist.«
    »Aber das geht nicht! Ich schreibe diese Woche mehrere Prüfungen! Und ich bin mit meinen Freundinnen verabredet.«
    Nikki bemühte sich, überzeugend zu wirken. »Hör zu, Camille, ich wäre nicht hier, wenn ich nicht glauben würde, dass du in Gefahr bist.«
    »In welcher Gefahr denn? Mein Bruder ist abgehauen, na und? Es ist nicht das erste Mal.«
    Nikki seufzte und schaute auf ihre Armbanduhr. In einer knappen halben Stunde fuhr ein Zug nach East Hampton, der nächste erst wieder um siebzehn Uhr dreißig.
    »Setz den auf!«, befahl sie und reichte ihrer Tochter einen Helm.
    »Aber …«
    »Kein ›aber‹. Ich bin deine Mutter. Wenn ich sage, dass du etwas tun sollst, dann tust du es! Keine Diskussion.«
    »Genau wie Papa!« Camille stöhnte und nahm auf dem hinteren Motorradsitz Platz.
    »Beleidige mich bitte nicht!«
    Nikki schwang sich auf ihre Maschine und verließ die Upper East Side. Sie fuhr über die Lexington Avenue, durchquerte Schluchten aus Glas und Beton, blieb aber bei dem hohen Tempo äußerst konzentriert.
    Vor allem keinen Unfall bauen. Nicht jetzt …
    Wegen der Scheidung war ihr Verhältnis zu Camille nicht sonderlich innig. Sie liebte sie sehr, hatte jedoch keine Gelegenheit gehabt, echte Gemeinsamkeiten mit ihr aufzubauen. Schuld daran waren natürlich die absurden Trennungsbedingungen, die Sebastian ihr aufgezwungen hatte. Doch da war noch etwas anderes. Ehrlicherweise musste sie zugeben, dass sie ihrer Tochter gegenüber Komplexe hatte. Camille war ein brillantes junges Mädchen, das sich für klassische Kultur interessierte. Bereits in jungen Jahren hatte sie Hunderte von Büchern verschlungen und die meisten richtungsweisenden Filme gesehen. In dieser Hinsicht hatte Sebastian sie hervorragend erzogen. Ihm war es zu verdanken, dass sie in einem privilegierten Umfeld aufwuchs. Er nahm sie mit ins Theater, in Konzerte, Ausstellungen …
    Camille war ein sympathisches Mädchen, eher bescheiden und nicht herablassend, aber Nikki fühlte sich häufig überfordert, wenn sie sich in einem Gespräch auf das Terrain der hohen Bildung wagte. Eine minderwertige Mutter. Wie jedes Mal, wenn sie daran dachte, stiegen ihr Tränen in die Augen, doch sie bemühte sich, ihren Kummer zu unterdrücken.
    Sie gab Gas und fuhr am Grand Central vorbei, warf einen Blick in den Rückspiegel, bevor sie ausscherte, um einen Feuerwehrwagen zu überholen.
    Schwindel, Tempo, das Gefühl, zermalmt zu werden. Sie liebte diese Stadt ebenso sehr, wie sie sie verabscheute. Das Gedränge und die ständige Bewegung nahmen ihr die Luft und betäubten sie.
    Eingepfercht zwischen den senkrechten Wänden der Häuserfluchten, sauste das Motorrad dahin.
    Heulende Sirenen, Gestank, gereizte Taxifahrer, Hupen, Stimmengewirr.
    Nikki schaltete zurück, bog in die 39th Street und fädelte sich in den

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