Sieben Jahre später
verschandelten. Zwischen dem Parc des Buttes-Chaumont und dem Périphérique eingezwängt, lag als letztes Relikt einer vergangenen Zeit die Rue Mouzaïa. Auf einer Länge von über dreihundert Metern gingen von ihr gepflasterte Sackgassen ab, die von kleinen Häuschen und ihren Gärten gesäumt waren.
In der Nummer 23 bis , einem Backsteinbau, klingelte das Telefon zum dritten Mal innerhalb von zehn Minuten, ohne dass jemand abgehoben hätte.
Dabei lag Constance Lagrange in ihrem Sessel im Wohnzimmer. Doch die halb geleerte Flasche Whiskey hatte sie so betrunken gemacht, dass sie, von der Welt abgeschnitten, vor sich hin dämmerte.
Drei Monate zuvor, am Tag ihres siebenunddreißigsten Geburtstags, hatte Constance drei Neuigkeiten erfahren – zwei gute und eine schlechte.
Als sie am 25. Juli morgens zur Arbeit gekommen war, hatte ihr Vorgesetzter, Hauptkommissar Sorbier, ihr ihre Beförderung zur Kommissarin in der angesehenen Brigade nationale de recherche des fugitifs , der Spezialeinheit zur Fahndung nach flüchtigen Straftätern, mitgeteilt.
Mittags hatte ihre Bank angerufen, um sie zu informieren, dass ihr Kreditantrag positiv beschieden worden war. Das gab ihr die Möglichkeit, endlich ihr Traumhaus in der Rue Mouzaïa, in jenem Viertel zu kaufen, das sie so sehr liebte.
Damals hatte Constance sich gesagt, dies sei ihr Glückstag. Doch am späten Nachmittag hatte sie von ihrem Arzt erfahren, dass bei der Computertomografie, die sie hatte machen lassen, ein Gehirntumor festgestellt worden war. Ein Glioblastom im fortgeschrittenen Stadium. Die schlimmste aller Krebsarten. Aggressiv, schnell wachsend und nicht operierbar. Man hatte ihr noch vier Monate gegeben.
Das Telefon, das am Boden lag, klingelte erneut. Diesmal drang der Ton bis in ihren unruhigen, von finsteren Bildern wuchernder Krebszellen bevölkerten Schlaf vor. Constance öffnete die Augen und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. Sie verharrte einige Sekunden reglos, kämpfte mit ihrer Übelkeit und wartete auf ein erneutes Klingeln, bevor sie die Hand ausstreckte. Sie sah die Nummer, die das Display anzeigte. Es war Sorbier, ihr ehemaliger Boss. Sie hob ab und ließ ihn reden.
»Was treiben Sie denn, Lagrange?«, schimpfte er. »Ich versuche schon seit einer halben Stunde, Sie zu erreichen.«
»Darf ich Sie daran erinnern, dass ich gekündigt habe, Chef?«, erwiderte sie und rieb sich die Augen.
»Was ist los? Haben Sie gesoffen oder was? Sie stinken nach Alkohol!«
»Reden Sie keinen Unsinn, wir sind am Telefon.«
»Sie sind sturzbetrunken, das riecht man bis hierher!«
»Also, was wollen Sie?«, fragte sie und rappelte sich mühsam auf.
»Wir müssen einem internationalen Amtshilfeersuchen der New Yorker Behörden Folge leisten. Zwei Amerikaner sind unverzüglich festzunehmen. Ein Mann und seine Exfrau. Eine große Sache, es geht um Drogen, Doppelmord und Flucht …«
»Warum hat sich der Richter nicht an die Pariser Kripo gewandt?«
»Keine Ahnung, ist mir auch egal. Alles, was ich weiß, ist, dass wir die Arbeit erledigen müssen.«
Constance schüttelte den Kopf. » Sie müssen … ich gehöre nicht mehr zu Ihrer Dienststelle.«
»Also, das reicht, Lagrange«, ereiferte sich der Hauptkommissar. »Sie gehen mir auf die Nerven mit Ihrer blöden Kündigung. Sie haben persönliche Probleme? Schön, ich habe Sie zwei Wochen in Ruhe gelassen, aber jetzt ist Schluss mit diesem Unsinn!«
Constance seufzte. Sie überlegte kurz, ihm alles zu erzählen: von dem Krebs, der ihr Gehirn zerfraß, von den wenigen Wochen, die ihr noch zu leben blieben, und dem nahen Tod, der ihr so viel Angst machte. Doch dann entschied sie sich dagegen. Sorbier war ihr Mentor, einer der letzten großen »Bullen« alten Schlages, einer, den man bewunderte. Sie wollte nicht sein Mitleid erregen oder ihn in eine unangenehme Situation bringen. Und im Übrigen hatte sie keine Lust, sich bei ihm auszuheulen.
»Schicken Sie lieber jemand anders. Warum nicht Botsaris?«
»Kommt nicht infrage! Sie wissen genau, wie heikel die Zusammenarbeit mit den USA ist. Ich will keine Probleme mit der Botschaft. Also finden Sie das Paar und nehmen Sie es noch heute fest, haben Sie verstanden?«
»Ich habe Nein gesagt!«
Sorbier tat, als hätte er nichts gehört. »Ich habe Botsaris die Akte gegeben, aber ich will, dass Sie die Operation überwachen. Ich maile Ihnen eine Kopie auf Ihr Handy.«
»Scheren Sie sich zum Teufel«, schrie Constance und legte auf.
Sie
Weitere Kostenlose Bücher