Sieben Jahre später
knurrte er und ging öffnen.
»Du auch nicht!«, rief sie und schlug die Badezimmertür zu.
Ein Hotelpage in roter Hose und Jacke mit Goldknöpfen stand vor ihm. Er war schmächtig und verschwand beinahe unter einer Fülle von Tüten und Paketen mit den Logos großer Luxusmarken: Yves Saint Laurent, Christian Dior, Zegna, Jimmy Choo …
»Diese Pakete wurden für Sie abgegeben, Monsieur.«
»Das muss ein Irrtum sein, wir haben nichts bestellt.«
»Ich erlaube mir, darauf zu bestehen, Monsieur: Die Lieferung lautet auf Ihren Namen.«
Zweifelnd trat Sebastian zurück, um ihn die Tüten ins Zimmer tragen zu lassen. Als der Boy sich bereits wieder entfernte, wühlte Sebastian auf der Suche nach einem Trinkgeld in seiner Tasche, bis ihm einfiel, dass man ihm alles gestohlen hatte. Nikki kam ihm zu Hilfe und reichte dem Pagen einen Fünfdollarschein, bevor sie die Tür schloss.
»Warst du auf Einkaufstour, Darling?«, fragte sie ironisch, als sie die Pakete entdeckte.
Von Neugier getrieben, half er ihr, die Sachen auf dem Bett auszupacken. Es waren insgesamt sechs große Tüten, die Abendkleidung enthielten: einen Anzug, ein Kleid, ein Paar Schuhe …
»Diese Botschaft verstehe ich nicht.«
»Einmal Damengarderobe, einmal Herrengarderobe«, erklärte Nikki und erinnerte sich an die Worte der Hostess von der Pariser Schifffahrtsgesellschaft, die von Abendkleidung gesprochen hatte.
»Aber warum sollen wir genau diese Klamotten tragen?«
»Vielleicht sind sie mit einer Wanze versehen. Einem Sender, mit dem sie uns verfolgen können …«
Er dachte über dieses Argument nach und fand es stichhaltig. Es war sogar sehr plausibel. Er griff nach dem Jackett und tastete es ab – vergeblich. Heutzutage war diese Art von Geräten vermutlich mikroskopisch klein. Und warum versuchen, sie zu entfernen, wenn so vielleicht ein Kontakt zu den Geiselnehmern ihres Sohnes hergestellt würde?
»Ich denke, wir können nichts anderes tun, als uns anzuziehen«, meinte Nikki.
Sebastian nickte.
Zuerst ging er duschen und blieb eine Weile unter dem heißen Wasserstrahl stehen, bevor er sich von Kopf bis Fuß einseifte, als wolle er das demütigende Erlebnis in Barbès von seinem Körper abwaschen.
Anschließend probierte er die neue Kleidung. Er fühlte sich sofort wohl darin. Das weiße Hemd passte und war gut geschnitten, der Anzug war klassisch, aber schick, die Krawatte streng, das Paar Schuhe von guter Qualität, aber nicht extravagant. Kleidung, wie er sie selbst ausgewählt hätte.
Als er ins Zimmer zurückkam, wurde es bereits dunkel. Im Dämmerlicht bemerkte er Nikkis Silhouette in einem langen roten Kleid mit tiefem Rückenausschnitt und einem schwindelerregenden, von Perlen gesäumten Dekolleté.
»Kannst du mir bitte helfen?«
Schweigend trat er hinter sie und schloss, wie in früheren Jahren, den Reißverschluss. Die Berührung von Sebastians Fingern verursachte Nikki Gänsehaut. Wie hypnotisiert hatte Sebastian Mühe, den Blick von der blassen samtigen Haut seiner Exfrau abzuwenden. Plötzlich legte er seine Hand auf ihr Schulterblatt und deutete eine Liebkosung an. Er blickte in den ovalen Spiegel, der ihm das Model auf dem Titelblatt eines Modemagazins zu zeigen schien – das täuschende Bild eines idealen Paares.
Nikki öffnete den Mund, um etwas zu sagen, als ein Windstoß das Fenster heftig zuschlug. Der Zauber war gebrochen.
Um ihre Verwirrung zu verbergen, zog sie die Schuhe an, die ihr Outfit vervollständigten. Er versuchte, die Fassung zurückzugewinnen, indem er die Hände in die Taschen steckte. In der rechten befand sich ein Etikett. Er zog es heraus, um es in den Papierkorb zu werfen, hielt dann aber plötzlich inne.
»Sieh mal!«
Es war kein Etikett.
Sondern ein zusammengefalteter Zettel.
Ein Ticket für ein Schließfach an der Gare du Nord.
Kapitel 29
19. Arrondissement
Das Quartier d’Amérique – einst waren dies die Steinbrüche, in denen Gips- und Silikatgestein abgebaut wurden – ist den meisten Parisern nur wenig bekannt. Seinen Namen bekam es von der Legende, man habe aus diesem Gestein die Freiheitsstatue und das Weiße Haus erbaut. Das stimmt zwar nicht, ist aber eine schöne Geschichte. Während der Trente Glorieuses, der dreißig goldenen Nachkriegsjahre, wurde zwecks sogenannter Modernisierung der größte Teil des Stadtviertels abgerissen. An seine Stelle traten deprimierende Häuserblocks und hässliche Türme, die jetzt den Norden der ehemaligen Gemeinde Belleville
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