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Sieben Jahre später

Sieben Jahre später

Titel: Sieben Jahre später Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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schleppte sich ins Badezimmer und erbrach in die Toilette Galle. Seit wann hatte sie nichts mehr gegessen? Auf jeden Fall seit mehr als vierundzwanzig Stunden. Am Vorabend hatte sie beschlossen, ihre Angst im Alkohol zu ertränken, und vorher absichtlich nichts zu sich genommen, um die Wirkung gleich bei den ersten Gläsern zu spüren. Sozusagen ein »Express-Rausch«, der sie für fünfzehn Stunden ins Land der Träume versetzt hatte.
    Das Wohnzimmer war in das spätnachmittägliche Herbstlicht getaucht. Constance war vor drei Wochen hier eingezogen, hatte aber noch keinen einzigen der Umzugskartons ausgepackt, die sich, mit Klebeband verschlossen, hier und dort in den leeren Räumen stapelten.
    Wozu auch ?
    In einem Schrank fand sie eine angebrochene Packung Granola. Sie nahm sie, setzte sich auf einen Hocker an die Küchentheke und zwang sich, einige der Kekse zu essen.
    Wie soll man die Zeit totschlagen, wenn sie es doch ist, die einen tötet?
    Wer hatte das gesagt? Sartre? Beauvoir? Aragon? Sie konnte sich nicht erinnern. Das hatte sie übrigens zu der Untersuchung veranlasst. Zunächst hatte es einige kleine Anzeichen gegeben: Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, aber wer hatte das nicht von Zeit zu Zeit? Man konnte ihren Lebensstil nicht wirklich als gesund bezeichnen, und so hatte sie sich weiter keine Sorgen gemacht. Doch dann war es zu wiederholten Aussetzern und Gedächtnislücken gekommen, die sie bei ihrer Arbeit behindert hatten. Sie war auch impulsiv geworden und hatte leicht die Selbstbeherrschung verloren. Und schließlich hatte der Schwindel eingesetzt, der sie veranlasste, einen Spezialisten aufzusuchen.
    Die Diagnose war brutal gewesen.
    Auf der Holztheke lag eine dicke medizinische Akte. Eine grausame Zusammenfassung ihrer Krankheit. Constance öffnete sie zum x-ten Mal und betrachtete voller Abscheu die Computeraufnahme ihres Gehirns. Man erkannte klar den riesigen Tumor und die Wucherung der Krebszellen, die bereits den linken Frontallappen erfasst hatte. Die Ursache der Erkrankung war unklar, und niemand konnte erklären, warum die Zellteilung plötzlich verrückt spielte und Chaos in ihrem Schädel anrichtete.
    Sie schob die Aufnahme in den Ordner zurück, zog ihre Lederjacke an und ging in den Garten.
    Es war noch schön draußen. Ein leichter Wind rauschte in den Blättern. Sie zog den Reißverschluss zu, setzte sich auf einen Stuhl und legte die Beine auf einen verblichenen Teakholztisch. Sie drehte sich eine Zigarette und betrachtete die rote Fassade. Mit dem schmiedeeisernen Vordach über der Treppe wirkte das Ganze wie ein Puppenhaus.
    Constance spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie liebte diesen Garten mit seinem Feigen- und Aprikosenbaum, der Fliederhecke, den Forsythien und der Glyzinie so sehr.
    Als sie zum ersten Mal mit dem Makler hier gewesen war, hatte sie, noch ehe sie das Haus betrat, gewusst, dass sie hier leben … und eines Tages vielleicht auch ein Kind großziehen wollte. Dies sollte ihr Zufluchtsort werden, eine Enklave, geschützt vor Umweltverschmutzung, Beton und dem Wahnsinn der Menschen.
    Von der Ungerechtigkeit des Lebens niedergeschmettert, brach sie in Schluchzen aus. Sosehr sie sich auch einzureden versuchte, dass der Tod unvermeidbar war und zum Leben gehörte, ihre Angst vermochte sie doch nicht zu überwinden.
    Nicht so früh, verdammt noch mal!
    Nicht jetzt …
    Sie verschluckte sich am Rauch ihrer Zigarette.
    Sie würde ganz allein sterben. Wie ein räudiger Hund. Es wäre niemand da, der ihre Hand halten würde.
    Die Situation kam ihr irreal vor. Man hatte sie nicht einmal ins Krankenhaus eingewiesen, ihr nur gesagt: »Es ist vorbei. Da ist nichts mehr zu machen. Keine Bestrahlungen, keine Chemotherapie.« Nur Schmerzmittel und kurz vor dem Ende, wenn sie wollte, ein Hospizaufenthalt. Sie hatte geantwortet, sie sei bereit zu kämpfen, doch man hatte ihr zu verstehen gegeben, dass der Kampf schon im Vorfeld verloren war. »Es ist nur eine Frage von Wochen.«
    Ein Todesurteil.
    Ohne Aussicht auf Begnadigung.
    Vor zwei Wochen war sie eines Morgens halb gelähmt aufgewacht. Sie sah alles verschwommen, ihre Kehle war zugeschnürt. Da war ihr klar geworden, dass sie nicht mehr arbeiten konnte, und sie hatte ihre Kündigung eingereicht.
    An diesem Tag hatte sie wirklich begriffen, was Angst bedeutet. Seither wechselte ihr Zustand ständig. Manchmal war sie völlig benommen und konnte ihre Bewegungen nicht mehr koordinieren, dann wieder waren die

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