Sieben Jahre später
Lähmungserscheinungen weniger stark und gewährten ihr einen Aufschub, der allerdings illusorisch war.
Ihr Handy vibrierte und verkündete das Eintreffen mehrerer E-Mails. Sorbier war fest entschlossen, sie nicht in Ruhe zu lassen. Er wollte ihr unbedingt die Akte der beiden Amerikaner aufs Auge drücken. Widerwillig öffnete Constance die Anlagen und begann, sie zu lesen. Der Flüchtige hieß Sebastian Larabee, seine Exfrau Nikki Nikovski. Sie vertiefte sich eine halbe Stunde in die Zusammenfassung ihrer Flucht und hob dann plötzlich den Blick. Wie auf frischer Tat ertappt. Hatte sie nichts Wichtigeres zu tun? Sollte sie die Zeit, die ihr blieb, nicht lieber nutzen, um alles zu regeln, ihre Familie noch einmal zu besuchen oder über den Sinn des Lebens nachzudenken?
Bullshit !
Wie die meisten Polizisten hing sie an ihrem Job. Daran änderte auch die Krankheit nichts. Sie brauchte noch einen letzten Adrenalinstoß. Sie suchte nach einer Ablenkung von der Angst, die sie umzingelte.
Entschlossen drückte sie ihre Zigarette aus und kehrte ins Haus zurück. Sie nahm ihre Dienstwaffe – die vorgeschriebene SIG Sauer –, die sie noch nicht zurückgegeben hatte. Als sie den Kolben der halbautomatischen Pistole in der Hand hielt, empfand sie ein vertrautes und beruhigendes Gefühl. Sie schob die Waffe in das Holster, nahm ein zusätzliches Magazin mit und ging zur Tür.
Wenn sie auch ihren Dienstwagen abgegeben hatte, blieb ihr doch ihr eigenes Peugeot-Coupé RCZ. Die kleine Bombe mit den klaren Formen und dem geschwungenen Dach hatte einen guten Teil des Geldes verschlungen, das sie von ihrer Großmutter geerbt hatte. Als sie sich ans Steuer setzte, zögerte Constance noch einmal kurz. War sie in der Lage, diese letzte Ermittlung zu führen? Würde sie durchhalten oder nach hundert Metern vor Müdigkeit oder durch die einsetzende Lähmung zusammenbrechen? Sie schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Dann ließ sie den Motor an, und alle Zweifel waren verflogen.
Kapitel 30
Constance Lagrange fuhr in ihrem Coupé Richtung Montmartre.
Sie hatte gerade mit Botsaris telefoniert. Er hatte nicht auf sie gewartet, sondern unverzüglich mit den Ermittlungen begonnen. Nach seinen Informationen war Sebastian Larabees Kreditkarte am frühen Nachmittag an einem Geldautomaten an der Place Pecqueur benutzt worden.
Constance kannte den baumbestandenen, schattigen Platz zwischen der Avenue Junot und dem Kabarett Lapin Agile , zwei Schritte vom touristischen Montmartre entfernt.
Merkwürdiger Ort, um sich zu verstecken, dachte sie, während sie einen Scooter überholte.
Wo mochten sich der Amerikaner und seine Exfrau verkrochen haben? In einem Unterschlupf, einem besetzten Haus? Wohl eher in einem Hotel …
Sie rief Botsaris noch einmal an, um sicherzugehen, dass er eine Fahndungsmeldung an die Taxi-Innung und den Verband der Autovermieter herausgegeben hatte. Er hatte alles Nötige veranlasst, doch die Antworten trafen nur tröpfchenweise ein.
»Ich warte auch noch auf die Bilder der Überwachungskameras vom Flughafen Roissy.«
Constance legte auf und gab im GPS ihres iPhones die Koordinaten der Place Pecqueur ein, um eine Liste der umliegenden Hotels zu bekommen. Es waren zu viele, um sie einzeln aufzusuchen.
Dennoch entschloss sie sich, im Relais Montmartre vorbeizufahren. Es lag in der Rue Constance.
Wie ihr Vorname …
Sie glaubte an Vorzeichen, Zufälle und günstige Umstände.
Aber das wäre zu schön, um wahr zu sein , dachte sie und parkte in zweiter Reihe vor dem Hotel.
Ganz offensichtlich durfte man sich keine Illusionen machen. Zehn Minuten später kehrte sie ohne Ergebnis zu ihrem Wagen zurück. Sie beschloss, noch zum Timhotel an der Place Goudeau zu fahren. Das Hotel könnte Amerikanern gefallen. Erneut Fehlanzeige. Wahrscheinlich zu offensichtlich.
Als sie gerade den Wagen wieder anlassen wollte, erhielt sie einen Anruf von Botsaris.
»Hören Sie sich das an! Ein Chauffeur von Luxury Cab versichert, die Larabees heute Morgen vom Flughafen zum Grand Hôtel de la Butte gebracht zu haben. Das ist ganz in der Nähe der Place Pecqueur. Passt alles bestens zusammen.«
»Freu dich nicht zu früh, Botsaris.«
»Soll ich ein Einsatzteam hinschicken?«
»Nein, ich kümmere mich darum. Ich will erst die Örtlichkeiten erkunden. Ich halte dich auf dem Laufenden.«
Constance drehte um und fuhr zurück zur Rue Junot. Dann bog sie in die kleine Sackgasse, die zum Hotel führte. Das schmiedeeiserne Tor
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