Sieben Jahre und eine Nacht
Bild, das Renee im Babyladen mit ihrem Handy aufgenommen hatte.
Alle Einzelheiten waren liebevoll wiedergegeben. Allerdings ließ die abgebildete Balkontür keinen Zweifel daran, um welches Zimmer es sich handelte: um das jetzige Gästezimmer.
Renee wusste, wie gut Flynn zeichnen konnte, aber üblicherweise hatte er sich auf Pläne und Gebäudeansichten beschränkt. Auch wenn es zu diesem Zweck längst gute Computerprogramme gab, hatte er erste Entwürfe gerne mit der Hand zu Papier gebracht. Gerührt strich sie über ein kleines Schaukelpferd. Wünschte sich Flynn womöglich ebenso sehr ein Baby wie sie selbst? Ein Junge oder Mädchen, vielleicht mit denselben dunklen Haaren wie er, mit denselben blauen Augen …
Vielleicht sehnte sie sich sogar noch mehr danach als früher … Und plötzlich ärgerte sie sich: Sie kannte Flynn als kreativen Menschen, der gern zeichnete und Neues entwarf. Doch aus falsch verstandener Loyalität seiner Familie gegenüber hatte er sich um diese erfüllende Tätigkeit gebracht. Warum verleugnete er seine Begabung? Weder seine egoistische Mutter noch sein verstorbener Vater würden dieses Opfer zu schätzen wissen.
„Was denkst du?“, fragte Flynn mit rauer, unglaublich erotisch klingender Stimme.
Es würde so leicht sein, ihn zu lieben. Aber sie konnte nicht. „Über das Bild? Es ist wunderschön.“
„Unser Zuhause und die Familie, die wir uns immer gewünscht haben. Glaub mir, es kann klappen.“
Renee sehnte sich von ganzem Herzen danach. „Warum hast du das getan?“, fragte sie.
„Was?“
„Deinen Traum aufgegeben.“
Er stand auf und runzelte die Stirn. „Das Thema hatten wir doch durch …“
„Mir tut es weh, dass du mit deiner Begabung einen solch trockenen Beruf ausübst. Ich sehe ja ein, dass du damals zu MC gegangen bist, als Not am Mann war. Aber inzwischen? Warum stellt Brock nicht einen anderen als zweiten Geschäftsführer ein? Dann könntest du wieder zurück in deinen Traumjob.“
„Ganz so einfach ist das nicht. Du weißt doch, dass ich den praktischen Teil meiner Ausbildung nicht abgeschlossen habe.“
„Na und? In weniger als einem Jahr hättest du das nachgeholt.“
„Ja, aber ich bin auch älter geworden“, sagte er und wollte aus dem Zimmer gehen.
„Flynn, dass du deine Liebe zur Architektur leugnest, macht deinen Vater auch nicht wieder lebendig.“
Abrupt wandte er sich um. „Warum interessiert dich das?“
Gute Frage. Warum lag ihr sein Glück am Herzen, wenn sie ihn eigentlich so bald wie möglich wieder verlassen wollte? In diesem Augenblick begriff sie, dass sie ihren Mann noch immer liebte. Tief erschüttert suchte sie nach einer unverbindlichen Antwort. „Weil ich nicht möchte, dass unser Kind unter einem unzufriedenen Elternteil leidet.“
„Ich bin nicht wie deine Mutter.“
„Nein, natürlich nicht.“ Sicher stimmte es, dass sich Wunschträume nicht so einfach in die Tat umsetzen ließen. Und es würde ständiger Wachsamkeit bedürfen, Fehler wie die ihrer Mutter zu vermeiden.
„Ich streiche jetzt weiter“, sagte sie und ging, weil sie fürchtete, er würde hinter ihr Geheimnis kommen.
Am Sonntagmorgen stand Renee vor Gretchen Mahoneys exklusivem, gepflegtem Haus im vornehmen Stadtteil Knob Hill.
Diese Art von Immobilie hätte sich Carol Maddox für ihren Sohn gewünscht. Doch der hatte sich für ein Restaurierungsobjekt entschieden, das Renee viel besser gefallen hatte. In Carols Augen ein weiterer Minuspunkt für ihre Schwiegertochter.
Renee klingelte. Gleich würde sie Flynns sogenannte Freundin kennenlernen, die diesen Termin unbedingt hatte haben wollen. Leider hatte Flynn nichts über seine Beziehung zu dieser Frau erzählt. Vielleicht war sie ja eine Bekannte seiner Mutter, die auch in dieser feinen Gegend wohnte. Oder eine Kundin von Madd Comm. Oder die Frau eines Freundes …
Die Tür wurde geöffnet, und heraus kam eine attraktive gertenschlanke Frau Mitte dreißig. Sie trug Schuhe mit zehn Zentimeter hohen Absätzen und einen Designeranzug, der der Zeitschrift Vogue alle Ehre machte. Ihr braunes Haar umrahmte das attraktive Gesicht mit den grünen Augen, mit denen sie Renee neugierig musterte. „Hallo, Sie müssen Flynns Frau sein. Ich bin Gretchen. Bitte kommen Sie herein.“
Aufgeregt umfasste Renee ihre Ledermappe fester. „Ja, ich bin Renee Maddox. Hallo.“
„Flynn meint, Sie sind genau, was ich für meine kleine Abendgesellschaft brauche“, sagte Gretchen und führte Renee ins
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