Sieben Jahre
mehr, in einer Wohngemeinschaft zu leben. Sondern?, fragte Sonja. Vielleicht erwartete sie, dass ich sie fragte, ob sie nach ihrer Rückkehr aus Marseille mit mir zusammenwohnen wolle. Aber ich verpasste die Gelegenheit.
Wenn wir zu Hause waren, arbeitete Sonja, und ich las und genoss das Gefühl, mit ihr zusammen zu sein. Manchmal ging ich zu ihr, blieb in der Tür des Büros stehen, und wenn sie fragte, was los sei, sagte ich, nichts, ich hätte nur sehen wollen, ob sie noch da sei. Sie lächelte erstaunt. Natürlich bin ich noch da. Das ist schön, sagte ich dann und ging wieder ins Wohnzimmer und las weiter.
Beim Abendessen klagte ich wieder einmal über meine Stelle. Warum suchst du dir nicht etwas anderes?, sagte Sonja. Es würde dir guttun, mal ins Ausland zu gehen. Ich sagte, ich hätte keine Lust, ich verspräche mir nichts davon. Sie runzelte die Stirn und sagte, sie wisse noch nicht, ob sie nach München zurückkäme. Hier sei alles so verfahren, und die alten Gebäude überall deprimierten sie. Warum gehen wir nicht irgendwohin, wo noch richtig gebaut wird? In den Osten oder nach Amerika. Ich sagte, mein Englisch sei viel zu schlecht. Das kann man doch lernen. Wenn du Französisch lernen würdest, könnten wir uns in Marseille niederlassen. Da wird viel gebaut, die Stadt ist in Bewegung. Ich weiß nicht, sagte ich und zuckte mit den Schultern. Sonja sagte nichts mehr, aber zum ersten Mal, seit wir zusammen waren, hatte ich das Gefühl, ich könnte sie verlieren, und dabei empfand ich zugleich Erleichterung und Angst.
So selbstverständlich Sonja sich in der Wohnung bewegte, so verschämt wurde sie, wenn wir ins Bett gingen. Sie zog sich nie vor mir aus, und wenn ich nackt zu ihr unter die Decke kroch, drehte sie sich weg und redete über irgendetwas, bis ich keine Lust mehr hatte, mit ihr zu schlafen. Als ich fragte, was eigentlich los sei, meinte sie noch einmal, sie müsse sich erst wieder an mich gewöhnen. Unsinn, sagte ich. Du scheinst so weit weg zu sein, sagte sie. Ich fragte, wie sie das meine, aber sie sagte nur, halt mich fest.
Silvester fuhren wir nach Possenhofen zu Rüdigers Party. Als wir vom Bahnhof zum Haus seiner Eltern gingen, sagte Sonja, hier wolle sie einmal wohnen, nicht jetzt, später, wenn sie Kinder habe und ein eigenes Büro. Wir müssen nur noch ein Grundstück am Ufer finden, sagte ich, das Haus hast du ja schon entworfen. Sonja ging nicht darauf ein. Sie sagte, außerdem wolle sie noch eine Wohnung in Marseille. Dann würde sie die Hälfte des Jahres hier und die andere dort wohnen. Schöne Pläne, sagte ich. Damit das Mögliche entsteht, muss das Unmögliche versucht werden, sagte Sonja. Es dauerte einen Moment, bis mir einfiel, woher der Satz stammte. Ich sagte, das sei eine schwachsinnige Maxime. Aber ich muss zugeben, mir gefiel die Vorstellung, hier mit Sonja zu wohnen. Ich sah mich an einem großen Fenster stehen und auf den See hinausschauen mit einem Glas Wein in der Hand. Sonja stand neben mir in lässiger Haltung, und wir redeten über ein Projekt, an dem wir arbeiteten. Wir könnten ein Motorboot haben, sagte ich. Eine Jacht auf dem Mittelmeer, sagte Sonja.
Rüdigers Mutter öffnete die Tür und begrüßte uns herzlich. Sie führte uns ins Wohnzimmer und verschwand gleich wieder. Am Fenster standen Rüdiger und Jakob und redeten leise. Es war genau das Bild, das ich mir vorhin mit Sonja und mir vorgestellt hatte. Rüdiger drehte sich um und kam auf uns zu, um uns willkommen zu heißen.
In der Mitte des Raumes stand ein großer gedeckter Tisch, der mit Papierschlangen dekoriert war. Ich las die Tischkärtchen. Die meisten Namen kannte ich. Ich habe euch auseinander gesetzt, sagte Rüdiger, das macht euch doch nichts aus? Sonja stand mit Jakob am Fenster. Ich trat zu den beiden und legte ihr den Arm um die Schulter. Jakob verzog keine Miene. Er erzählte Sonja von seiner Dissertation in den genau gleichen Worten, mit denen er mir zwei Wochen zuvor davon erzählt hatte. Er fragte Sonja, ob sie den Bayerischen Wald kenne. Als sie den Kopf schüttelte, sagte er, er fahre mal mit ihr hin und zeige ihr die Gegend. Die Türklingel ertönte, und kurz darauf erschienen Ferdi und Alice und aus dem oberen Stockwerk kam eine junge Frau herunter, die ich nicht kannte.
Es war fast dieselbe Gesellschaft wie beim Sommerfest, aber die Stimmung war viel förmlicher als damals. Alle hatten sich schöngemacht und brachten Geschenke mit. Wir standen in kleinen Gruppen herum
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