Sieben Jahre
fiebrig. Nach einer Weile drehte sie sich zu mir um und umklammerte mich und fing an mich zu küssen, schnell und nervös, überall auf mein Gesicht.
Spät in der Nacht, wir lagen erschöpft nebeneinander, ohne uns zu berühren, fragte ich Sonja, ob sie mich heiraten wolle. Ja, sagte sie zärtlich und ohne große Überraschung oder Erregung. Lass uns morgen darüber reden.
Hä tten wir in jener Nacht nicht miteinander geschlafen, hätte ich Sonja wohl nicht um ihre Hand gebeten und sie wäre abgereist, verunsichert und unentschlossen, wie sie gekommen war. Vielleicht wäre sie dann in Marseille geblieben oder nach England oder Amerika gegangen. Ich fragte mich später manchmal, was aus uns beiden geworden wäre, wenn wir nicht geheiratet hätten, aber Sonja schien nie mit ihrem Schicksal zu hadern, selbst in den schlimmsten Zeiten, als alles auseinanderzubrechen schien. Sie hatte sich entschieden in jener Nacht oder vielleicht schon viel früher und hielt an ihrer Entscheidung fest und trug die Konsequenzen.
Ich stand auf und spazierte am See entlang. Ich fragte mich, ob Antje recht gehabt hatte, als sie sagte, die Leidenschaft sei eine minderwertige Form der Liebe. Nicht umsonst halte sie nicht an. Was mich mit Sonja verband, war mehr als ein kurzer Rausch. Immerhin hatten wir es achtzehn Jahre miteinander ausgehalten. Vielleicht funktionierte unsere Beziehung ja gerade, weil wir uns nie wirklich nähergekommen waren. Trotzdem war ich mir nicht sicher, ob ich nicht wieder in eine Situation kommen könnte, in der ich bereit sein würde, alles zu riskieren für nichts.
Ich ging nach Hause. Sonja und Antje saßen immer noch auf der Terrasse und redeten. Sonja sagte, sie gingen ins Kino heute Abend, sie wollten sich »Das Leben der Anderen« anschauen. Den haben wir doch schon gesehen. Aber Antje nicht, sagte Sonja. Du musst sowieso hierbleiben und auf Sophie aufpassen. Ich verstand nicht, was Sonja an dem Film so toll fand. Als wir ihn uns angeschaut hatten, hatte sie geweint. Das hatte ich bei ihr zum letzten Mal bei »Schindlers Liste« gesehen und auch damals hatte ich es nicht verstanden.
Ich setzte mich zu den beiden Frauen an den Tisch, obwohl ich merkte, dass ich störte. Redet ihr immer noch über alte Zeiten? Ein unerschöpfliches Thema, sagte Antje. Sonja hat mir gerade erzählt, wie ihre Familie reagiert hat, als sie dich zum ersten Mal mit nach Hause brachte. Das war Heiligabend neunundachtzig, sagte ich. Das weiß ich noch so genau, weil wir uns über den Mauerfall gestritten haben. Du warst bestimmt dagegen, sagte Antje. Ich war nicht dagegen, sagte ich, ich war nur gegen die sofortige Wiedervereinigung. Ich glaube, die meisten von uns haben damals gehofft, es lasse sich etwas von der DDR retten und auch im Westen würde sich etwas ändern. Sonjas Vater kam mir mit seinen Kriegserlebnissen. Darum ging es doch überhaupt nicht, sagte Sonja, im Krieg war er ja noch ein Kind. Außerdem haben mir ihre Eltern alle möglichen Fragen über meine Familie gestellt, sagte ich. Es war ein Wunder, dass sie mich nicht fragten, wie viel mein Vater verdient. Rüdiger hätte ihnen wohl besser gepasst. Antje lachte. Das hat Sonja auch eben gesagt. Sie fanden dich etwas ungehobelt, sagte Sonja, und mein Vater glaubte, du seist Sozialist. Das glaubt er heute noch, sagte ich. In Bayern braucht es nicht viel, um als Sozialist zu gelten. Ich glaube eher, ich war ihnen nicht gut genug, sie hätten ihre Tochter lieber mit jemandem aus ihren Kreisen verheiratet.
Alex musste im Zimmer meiner Schwester schlafen. Sonja lachte. Und du hast dich rübergeschlichen zu ihm?, fragte Antje. Habe ich?, fragte Sonja. Nein, sagte ich. Du benimmst dich ja heute noch wie ein kleines Mädchen, wenn du bei deinen Eltern bist. Sonja protestierte. Sie sei wahrscheinlich zu müde gewesen. Antje sagte, sie könne sich noch gut erinnern, wie Sonja damals nach Marseille gekommen sei nach Weihnachten und ihr gesagt habe, sie werde heiraten. Ich schaute Sonja an. Sie runzelte nachdenklich die Stirn. Lange her, sagte sie und stand mit einem Seufzer auf, mir wird langsam kalt hier draußen.
Sonja und Antje fuhren um sechs los, sie wollten vor der Vorstellung in der Stadt etwas essen. Ich schob eine Fertigpizza in den Ofen, eine von Sophies Lieblingsspeisen. Als wir mit dem Essen anfingen, setzte Mathilda sich neben meinen Stuhl und miaute kläglich. Sie sprang auf meinen Schoß, ich packte sie und setzte sie wieder auf den Boden. Hast du sie nicht
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