Sieben Jahre
Provinz. Lauter solche Leute, sagte Sonja, die nicht wissen, was sie wollen, und den ganzen Tag bekifft sind und sich Künstler nennen, ohne jemals etwas zustande zu bringen. Ich weiß auch nicht, was Rüdiger an diesem Leben fand. Das Diplom habe er nie gemacht. Stattdessen habe er sich mit Kunst versucht, habe mit Elsbeth und den anderen irgendwelche gesellschaftskritischen Installationen im öffentlichen Raum eingerichtet und die ganze Zeit vom Geld seiner Eltern gelebt.
Er hat mir ein paar Mal geschrieben in der Zeit, sagte Sonja, verrückte Briefe, er schien vollkommen glücklich zu sein. Ich habe ihm zurückgeschrieben und ihn gewarnt, aber er ist nicht auf meine Bedenken eingegangen und hat nur wiedergeschrieben, wie toll sein Leben sei, wie frei und ungebunden er sei.
Irgendwann hatte Elsbeth angefangen, härtere Drogen zu konsumieren. Rüdiger gab ihr Geld, um sie daran zu hindern, es auf andere Art zu beschaffen. Sie versprach ihm aufzuhören, dann verschwand sie für Tage, und wenn sie wieder auftauchte, war sie vollgepumpt mit Heroin. Da ist dieser Park in Zürich, wo ein paar tausend Drogensüchtige lebten, sagte Sonja. Ich nickte, ich konnte mich an die Bilder in der Zeitung erinnern. Rüdiger hat irgendwann aufgegeben, sagte Sonja, ich glaube, er hat begriffen, dass er ihr nicht helfen kann. Er hat sich eine Wohnung gesucht und die Stelle gefunden in diesem Thinktank, aber er ist bis heute nicht von ihr losgekommen. Sie taucht immer mal wieder bei ihm auf und will Geld von ihm. Ich glaube, ich hoffe, er gibt ihr nichts. Ich kann mir nicht vorstellen, was ihn so an dieser Frau fasziniert, an diesem Leben ohne Verantwortung und ohne Ziele. Ich konnte es mir vorstellen, aber ich sagte nichts.
Wir blieben noch zwei Tage in den Bergen. Wir gingen viel spazieren und in die Sauna und ins Hallenbad. Ich gewöhnte mich langsam an die Umgebung und fühlte mich nicht mehr so befangen wie am Anfang. Auch Ferdi beruhigte sich ein wenig und fing an, über andere Dinge zu reden als über sein Geld und seinen Erfolg. Sonja und Alice vertrugen sich mit der Zeit besser, auf einem unserer Spaziergänge fing Sonja sogar an, über die Adoption zu sprechen, allerdings ohne ins Detail zu gehen. Könnt ihr denn keine Kinder kriegen?, fragte Alice. Sonja sagte, wir wüssten es nicht, medizinisch sei alles in Ordnung. Mit Alice gehst du einmal ins Bett, und, bumm, gleich ist sie schwanger, sagte Ferdi. Ich fragte mich, ob er sich die Kinder wirklich gewünscht hatte. Alice hatte immer Kinder gewollt, schon als ich mit ihr zusammen gewesen war, hatte sie dauernd davon gesprochen. Ich nahm mir vor, ihn danach zu fragen, aber dann tat ich es doch nicht. Was hätte er schon sagen sollen. In einem anderen Zusammenhang hatte er einmal gesagt, ein Haus könne man planen, ein Leben nicht. Sonja hatte ihm widersprochen, aber vermutlich hatte er recht und war mit seiner Philosophie nicht schlecht gefahren.
Im neuen Jahr ging ich zu Iwona, um mit ihr über das Kind zu reden. Ich hatte Sonja versprechen müssen, ein für alle Mal mit Iwona Schluss zu machen, und ich war fest entschlossen, mich daran zu halten. Du musst das verstehen, sagte ich, ich bin seit sieben Jahren mit Sonja verheiratet, ich liebe sie. Iwona sagte nichts, und ich musste daran denken, wie sie mir ganz am Anfang unserer Affäre gesagt hatte, sie liebe mich. Ihre Gegenwart war mir schon wieder unangenehm, aber ich zwang mich, freundlich zu sein. Hast du es dir überlegt?, fragte ich. Sie sagte, Bruno habe versprochen, ihr zu helfen. Auch ich helfe dir, sagte ich, ob du das Kind behältst oder nicht. Es geht darum, ob du es unserem Kind gönnst, sorglos und in einem behüteten Umfeld aufzuwachsen. So viel wie du arbeitest, hättest du ja kaum Zeit, dich darum zu kümmern.
Ich war inzwischen beim Jugendamt gewesen, wo man mir gesagt hatte, das Sorgerecht sei automatisch bei der Mutter, aber wenn wir eine gemeinsame Sorgerechtserklärung unterschrieben und die Mutter einverstanden sei, könne das Kind auch bei mir aufwachsen. Allerdings behalte die Mutter das Recht auf das Kind. Sicherer wäre eine Adoption. Dann ist die Mutter raus, hatte die Sachbearbeiterin gesagt.
Ich hatte ein schlechtes Gewissen, Iwona das Kind wegzunehmen, aber ich war fest davon überzeugt, dass es das Beste für alle wäre. Ich erklärte ihr das Verfahren. Iwona sagte nichts mehr. Verstockt saß sie da, den Blick auf ihre Füße gerichtet. Ich sagte, sie müsse sich entscheiden, je
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