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Sieben Phantastische Geschichten

Sieben Phantastische Geschichten

Titel: Sieben Phantastische Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. G. Ballard
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entfernt geparkt hatten, zu ihren Autos liefen.
    Als aus einer der Maschinenpistolen ein kurzer Schuß aufbrüllte, brach Totenstille aus, die in ein lautes Keuchen überging, als Hathaway mit weit ausgestreckten Armen einen Schrei des Triumphs und des Schmerzes ausstieß und in die Tiefe sprang.
    »Aber, Robert, was ist denn daran schon so schlimm?« fragte Judith, als Franklin am nächsten Morgen untätig im Wohnzimmer saß. »Natürlich, für seine Frau und seine Tochter ist es tragisch, aber Hathaway war von einer Idee besessen. Wenn er die Reklameschilder wirklich so sehr haßte, warum hat er dann nicht die, die wir richtig sehen können, in die Luft gejagt, anstatt sich um die, die wir nicht sehen können, zu kümmern?«
    Franklin starrte auf den Fernsehschirm, in der Hoffnung, das Programm würde ihn ablenken.
    »Hathaway hatte recht «, sagte er.
    »Hatte er das? Werbung wird es immer geben. Wir können doch sowieso nicht richtig frei wählen. Wir können nicht mehr ausgeben, als wir uns leisten können, da passen die Finanzierungsgesellschaften schon auf.«
    »Und das nimmst du einfach hin?« Franklin ging ans Fenster. Ein Stück entfernt, in der Mitte der Siedlung, wurde gerade ein weiteres Schild errichtet. Es stand östlich von ihnen, und am frühen Morgen fiel der Schatten des gigantischen Rechtecks quer über den Garten und reichte fast bis zu den Stufen der Terrassentür. Als Konzession an die Leute, die hier wohnten, vielleicht auch, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, waren seine unteren Teile im Tudorstil verkleidet.
    Franklin zählte ein halbes Dutzend Polizisten, die vor ihren Streifenwagen saßen, während der Bautrupp die vorgefertigten Gitter von einem Lastwagen lud. Er sah hinüber zu dem Schild beim Supermarkt und bemühte sich, die Erinnerung an Hathaway und dessen pathetische Anstrengung zu verdrängen, Franklin von seiner Idee zu überzeugen und ihn zur Mithilfe zu bewegen.
    Er stand noch immer genauso da, als Judith eine Stunde später ins Zimmer kam, mit Hut und Mantel, fertig angezogen, um in den Supermarkt zu gehen.
    Franklin ging mit ihr zur Tür. »Ich fahre dich hin, Judith. Ich muß mich darum kümmern, daß ich ein neues Auto kriege. Die nächsten Modelle kommen Ende des Monats auf den Markt. Wenn wir Glück haben, bekommen wir eins der allerersten.«
    Sie traten auf die Auffahrt hinaus; die Schilder warfen Schatten auf die stille Siedlung, die mit Fortschreiten des Tages die Köpfe der Menschen, die auf dem Weg in den Supermarkt waren, streiften wie die Schneiden großer Sensen.

    Minus Eins

    Minus One

    aus: J. G. Ballard: Das Katastrophengebiet, Suhrkamp 1983
    Übersetzung: Charlotte Franke, Alfred Scholz

    »Wo ist er, mein Gott, wo?«
    In einem Ton, der totale Frustration ausdrückte, stotternd, während er vor dem hochgiebeligen Fenster hinter seinem Schreibtisch auf- und abging, brachte Dr. Mellinger, der Direktor des Green Hill-Pflegeheims mit diesem cri de cœur die Bestürzung seines gesamten Personals über das mysteriöse Verschwinden eines ihrer Patienten zum Ausdruck. In den zwölf Stunden, die seit der Flucht vergangen waren, hatten Dr. Mellinger und seine Angestellten Zustände der Verwunderung und Besorgnis bis zu heftiger Erbitterung durchgemacht und waren schließlich in eine Stimmung von fast euphorischer Ungläubigkeit verfallen. Um dem verletzten Schmerz auch noch eine gehörige Portion Beleidigung hinzuzufügen, war es dem Patienten, James Hinton, nicht nur gelungen, der erste zu sein, der je aus der Anstalt ausgebrochen war, sondern darüber hinaus hatte er es sogar vermeiden können, irgendwelche Hinweise dafür zu geben, welchen Weg er eingeschlagen haben mochte. Und so mußten Dr. Mellinger und sein Personal auch mit der Möglichkeit rechnen, daß Hinton gar nicht geflohen war, sondern sich eventuell noch immer in aller Ruhe innerhalb der Anstaltsgrenzen aufhielt. Auf jeden Fall waren sich alle darin einig, daß sich Hinton, falls er tatsächlich geflohen war, buchstäblich in Luft aufgelöst haben mußte.
    Ein kleiner Trost war jedoch, wie sich Dr. Mellinger ins Gedächtnis rief, während er mit den Fingern auf die Tischplatte trommelte, daß Hintons Verschwinden die Mängel des Sicherheitssystems der Anstalt aufgedeckt und den Abteilungsleitern einen gehörigen Schock versetzt hatte. Als sich dieses unglückliche Grüppchen, angeführt von Dr. Normand, dem stellvertretenden Direktor, zur ersten der morgendlichen Notstandssitzungen in seinem Büro

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