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Sieben Phantastische Geschichten

Sieben Phantastische Geschichten

Titel: Sieben Phantastische Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. G. Ballard
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Nichtexistenz wie nur möglich, ohne Freunde oder Familie, mit dem vagen Hintergrund vergessener Jobs und Pensionen. Die Sorte hilfloser und einsamer Mensch, die mit einer unbedachten Verzweiflungstat ohne weiteres versuchen könnte, sich von einem Dach zu stürzen.
    Trotzdem war da etwas, was Vansittart Rätsel aufgab. Als Mitglied des Universitätslehrkörpers hätte er Forbis eigentlich nicht in Behandlung nehmen dürfen, sondern ihn prompt dem Polizeiarzt auf dem nächsten Revier übergeben müssen. Aber ein eigentümlich nagender Verdacht hinsichtlich Forbis hatte ihn daran gehindert. Später, als er damit begann, Forbis zu analysieren, fand er heraus, daß dessen Persönlichkeit oder das, was davon existierte, bemerkenswert gut integriert schien und daß er eine realistische, pragmatische Lebenseinstellung besaß, die dem überkompensierten Selbstmitleid der meisten Möchtegern-Selbstmörder in keiner Weise glich.

    Und dennoch unterlag er einem krankhaften Zwang, diesem scheinbar grundlosen Drang nach dem 100. Stock. Trotz aller Klärungsgespräche und Beruhigungsmittel Vansittarts hatte sich Forbis zweimal in die Innenstadt aufgemacht, einen Wolkenkratzer herausgepickt und in der luftigen Höhe des 99. Stocks selbst gefangengesetzt, und beide Male war er schließlich von Vansittart gerettet worden.
    Entschlossen, einen Schuß ins Blaue abzugeben, fragte Vansittart: »Haben Sie schon mal mit Hypnose experimentiert, Forbis?«
    Forbis bewegte sich schläfrig, schüttelte dann den Kopf. »Soviel ich mich erinnern kann, nein. Wollen Sie damit andeuten, daß mir jemand eine posthypnotische Suggestion verpaßt hat, mich selbst vom Dach zu stürzen?«
    Das war ganz schön fix von dir, dachte Vansittart. »Warum sagen Sie das?« fragte er.
    »Keine Ahnung. Aber wer sollte so was wohl versuchen? Und wozu?« Er linste zu Vansittart hoch. »Glauben Sie, jemand hat das gemacht?«
    Vansittart nickte. »O ja. Daran besteht kein Zweifel.« Er beugte sich vor, schwenkte zur Betonung die Lampe herum. »Hören Sie, Forbis, irgendwann, ich kann nicht mit Sicherheit sagen, wie lange es her ist, drei Monate, vielleicht sechs, hat Ihnen jemand einen wirklich mächtigen posthypnotischen Befehl ins Gehirn gepflanzt. Den ersten Teil davon – ›Fahren Sie hoch in den 100. Stock‹ – habe ich freilegen können, aber der Rest ist noch vergraben. Diese Hälfte des Befehls macht mir Sorgen. Man braucht keine morbide Vorstellung, um zu erraten, wie sie vermutlich lautet.«
    Forbis befeuchtete seine Lippen, schirmte seine Augen gegen die grelle Lampe ab. Er fühlte sich zu schlapp, um von dem beunruhigt zu sein, was Vansittart eben gesagt hatte. Trotz des freimütigen Eingeständnisses des Arztes, versagt zu haben, und trotz seiner bedächtigen, aber ziemlich nervösen Art, vertraute er Vansittart und war zuversichtlich, daß er eine Lösung finden würde. »Hört sich verrückt an«, meinte er. »Aber wer sollte mich töten wollen? Können Sie die ganze Sache nicht aufheben, den Befehl löschen?«
    »Versucht habe ich es, ohne Erfolg. Ich habe nichts erreicht. Der Befehl ist so stark wie zuvor – tatsächlich sogar stärker, beinahe so, als sei er verstärkt worden. Wo waren Sie während der letzten Woche? Wen haben Sie getroffen?«
    Forbis zuckte die Schultern, stützte sich auf einen Ellbogen. »Niemanden. Soviel ich mich erinnern kann, war ich nur im 99. Stock.« Er starrte trübsinnig in die Luft, gab dann auf. »Wissen Sie, ich kann mich an nichts erinnern, nur an verschwommene Umrisse von Cafés und Busbahnhöfen, merkwürdig.«
    »Schade. Ich würde ja versuchen, Sie im Auge zu behalten, aber mir fehlt die Zeit dazu. Mit Bauers Ausscheiden wurde erst in einem Jahr gerechnet, wir haben alle Hände voll mit Neuorganisieren zu tun.« Er trommelte mit den Fingern gereizt auf dem Schreibtisch. »Mir ist aufgefallen, daß Sie noch etwas Bargeld bei sich tragen. Hatten Sie einen Job?«
    »Ich glaube schon – bei der U-Bahn, vielleicht. Oder bin ich einfach nur so mitgefahren …?« Von dem Bemühen, sich zu entsinnen, runzelte sich Forbis’ Stirn. »Tut mir leid, Doktor. Egal, ich habe jedenfalls immer gehört, daß einen posthypnotische Suggestionen zu nichts zwingen können, was mit der eigenen Grundpersönlichkeit kollidiert.«
    »Schon, aber was ist die Grundpersönlichkeit? Ein geschickter Analytiker kann die Psyche dahingehend manipulieren, daß sie mit der Suggestion übereinstimmt, kann eine kleine Ader der Selbstzerstörung

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