Sieben Siegel 01 - Die Rückkehr des Hexenmeisters
Unverständliches, dann machte sie sich daran, die drei vollen Tassen wieder abzuräumen. Sie murmelte immer noch vor sich hin, als sie den Inhalt in das kleine Waschbecken auf der andern Seite des Ladens goss. Die Freunde wechselten verstohlene Blicke und grinsten.
Alle drei waren überzeugt, dass es wahrscheinlich nirgendwo auf der Welt einen gemütlicheren Ort gab als Tante Kassandras Teeladen. Nicht einmal das Hügelgrab konnte es damit aufnehmen. Das Problem war nur, dass Tante Kassandra ihnen jedes Mal, wenn sie sich hier trafen – und das war beinahe jeden Tag –, eine ihrer neusten Tee-Entdeckungen aus Fernost, Südamerika oder Grönland vorsetzte. Und es kam ausgesprochen selten vor, dass sie sich so schnell geschlagen gab wie heute. Meistens kamen die Kinder nicht umhin, ihre Tassen leer zu trinken – und wer einmal Tee getrunken hat, der aus den Knollen der Owigabawombo-Wurzel oder den Häusern angolanischer Wüstenschnecken gebraut worden ist, der wird nachfühlen können, wie den dreien zu Mute war.
Der Laden war nicht sehr groß. An den Wänden standen hohe Regale mit hunderten von Teedosen, die meisten hübsch bedruckt oder sogar handbemalt. Eine Vielzahl exotischer Düfte vermischte sich zu etwas, das roch wie einst die Basare in Bagdad, als das Mädchen Scheherazade dem Kalifen Schehrijar tausendundeine Nacht lang Geschichten erzählte. Für die Freunde war Kassandras Teeladen ein magischer Ort, ein Raum, in dem Gerüche aus jedem Winkel der Welt Gestalt annahmen, mal in Form von Geschichten, die sie einander erzählten, mal als verrückte Ideen, die ihnen unvermittelt in den Sinn kamen.
Kyra war drauf und dran, den anderen zu erzählen, was am Abend vorgefallen war, doch Nils kam ihr eilig zuvor. Seine Spezialität waren Gruselgeschichten, und er pflegte beim Leben seines Lieblingshamsters zu schwören, dass sich alles tatsächlich so und nicht anders zugetragen hatte.
»Habt ihr eigentlich schon von der Sache mit dem Babysitter gehört?«, fragte er, wartete aber nicht, bis einer der beiden eine Antwort gab. »Also, jemand aus der Schule hat mir erzählt, seine Kusine kenne ein Mädchen, dessen Schwester mal bei einer Familie Babysitter war. Die Leute hatten drei kleine Kinder, fünf oder sechs Jahre alt.«
»Als ich so alt war, hab ich keinen Babysitter gebraucht«, prahlte Kyra stolz.
»Weil ich so gut wie nie ausgehe«, bemerkte ihre Tante und grinste.
Kyra schoss einen vernichtenden Blick auf sie ab, dann hörte sie weiter zu, was Nils zu berichten hatte.
Er senkte die Stimme zu einem geheimnisvollen Raunen. »Das Mädchen hatte die drei Kinder in ihre Betten im ersten Stock gebracht und saß allein vor dem Fernseher im Erdgeschoss. Draußen heulte der Wind ums Haus, und die Fensterläden klapperten.«
»Lass mich raten«, meinte Lisa und seufzte. »Im Fernsehen lief ein Horrorfilm.«
»Woher weißt du das?«, fragte Nils verblüfft.
Kyra lachte. »Nun erzähl schon weiter.«
»Sie schaute sich also diesen Film an, trank Cola – sie mochte keinen Tee, wisst ihr –, als plötzlich das Telefon klingelte. Als sie abhob, hörte sie am anderen Ende nur leises Atmen. Erschrocken legte sie auf. Fünf Minuten später klingelte es wieder. Diesmal ertönte aus dem Hörer ein heiseres Kichern, ein wirklich böses Kichern, das könnt ihr mir glauben. Das Mädchen unterbrach die Verbindung und rief die Polizei an.«
»Nur weil jemand gekichert hat?«, fragte Lisa zweifelnd.
»Wart’s ab … Der Polizist sagte ihr, sie solle beim nächsten Mal versuchen, den Anrufer möglichst lange hinzuhalten, damit das Gespräch vom Polizeicomputer zurückverfolgt werden könnte. Eine Viertelstunde später klingelte das Telefon abermals. Der Mann am anderen Ende lachte gehässig und sagte noch immer kein Wort, lachte immer nur lauter und lauter und lauter. Das Mädchen konnte dieses Lachen nicht länger ertragen und warf den Hörer auf die Gabel. Und dann – und jetzt passt auf –, nur ein paar Sekunden waren vergangen, klingelte das Telefon zum vierten Mal. Diesmal war es der Polizist. Und wisst ihr, was er sagte?«
»Was?«, entfuhr es Kyra und Lisa zugleich.
Ein teuflisches Grinsen huschte über Nils’ Gesicht. »Der Polizist sagte:›Schnell, Mädchen, du musst das Haus verlassen! Die Anrufe kommen von oben, vom zweiten Apparat im Obergeschoss!‹ Das Mädchen ließ schreiend den Hörer fallen und rannte hinaus auf die Straße. Niemand folgte ihr. Doch als wenig später die Polizei eintraf,
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