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Sieben Siegel 05 - Schattenengel

Sieben Siegel 05 - Schattenengel

Titel: Sieben Siegel 05 - Schattenengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Schläue.«
    Nils schluckte. »Das heißt, dass –«
    Azachiel ließ ihn nicht ausreden. »Es mag noch eine Möglichkeit geben.«
    »Und die wäre?«, fragte Kyra, der mit einem Mal sonderbar zu Mute war. Nicht allein die Angst zerrte an ihren Nerven, nein, da war noch etwas anderes – ihr war fast, als wittere sie eine List.
    Der Engel deutete mit der glitzernden Schwertspitze auf den Rucksack in Kyras Hand. »Gebt mir das Haupt von Lachis. Mit seiner Macht gelingt es mir vielleicht, Raguel und die anderen zurückzuschlagen.«
    Kyra bewegte sich nicht. Nur ihre Finger krallten sich fester in den groben Stoff des Rucksacks. »Du willst das Haupt?«, fragte sie, so als hätte sie Azachiel nicht richtig verstanden. In Wahrheit wollte sie nur Zeit gewinnen, um nachzudenken.
    Azachiel zog das Schwert zurück. »In der Hand eines Sterblichen ist das Haupt nutzlos. Ein Engel aber vermag ihm Kräfte zu entlocken, die jenseits dessen sind, was ihr begreifen könnt.«
    Chris machte entschlossen einen Schritt nach vorne. »Wir wollen das Haupt Raguel geben. Vielleicht lässt er uns dann in Ruhe.«
    »Nein!«, schrie Azachiel, und einen Augenblick lang waren sie alle überzeugt, dass er sich mit seinem Schwert auf sie stürzen würde.
    Lisa suchte vergeblich in den Zügen des Engels nach dem Lächeln, das er ihr oben auf der Tragfläche des Flugzeugs geschenkt hatte. Azachiel hatte sich verändert, daran bestand kein Zweifel.
    Aber, dachte Lisa, wer konnte ihm das verübeln? Er hatte gerade zwei seiner Brüder getötet.
    War das die Erklärung für den Grimm in seinen Augen, für den verbissenen Zug seiner Lippen?
    Sie wusste es nicht. Ihnen blieb nichts weiter übrig, als sich hier und jetzt zu entscheiden: Wollten sie dem mysteriösen Fremden vertrauen oder nicht?
    »Was wird geschehen, wenn wir dir das Haupt geben?«, fragte Kyra und versuchte, kühn zu klingen, so als würde sie den Fund ihres Vaters nicht kampflos aufgeben.
    »Ich weiß es nicht. Nicht genau.« Azachiel schaute ungehindert durch den strömenden Regen zum Himmel empor, schien aber noch keinen seiner Gegner zu entdecken. »Das Haupt von Lachis ist selbst unter uns Engeln eine Legende. Aber vielleicht – nur vielleicht – kann ich Raguel damit bezwingen.«
    Kyra schaute Chris an, doch der wirkte ebenso unentschlossen wie sie selbst. Auch Nils trat nervös von einem Fuß auf den anderen.
    Und so war es Lisa, die die Entscheidung herbeiführte.
    »Gebt es ihm«, sagte sie.
    Die Blicke der drei anderen trafen sie, teils ungläubig, teils dankbar darüber, dass jemand das unsichere Schweigen beendete.
    Chris atmete tief durch, dann nickte er. Es war Lisa nicht entgangen, dass er sich in letzter Zeit häufiger auf ihre Seite schlug, aus Respekt vor ihren Überzeugungen. Das erfüllte sie mit Stolz und einem warmen Kribbeln, selbst hier, in einer verzweifelten Lage wie dieser.
    Nils blieb unentschlossen, aber Kyra sagte:
    »Haben wir überhaupt eine Wahl?«
    Azachiel legte den Kopf schräg. »Ich würde euch das Haupt niemals mit Gewalt nehmen. Das könnte ich gar nicht.«
    Kyra verstand nicht, was er mit seinen letzten Worten meinte, aber sie nickte. Mit beiden Händen streckte sie den Rucksack aus. »Hier, nimm!«
    Zu ihrer Überraschung schüttelte Azachiel den Kopf. »So geht das nicht«, sagte er.
    »Wir sollen wohl auch noch ›bitte‹ sagen«, murrte Nils.
    Azachiel strafte ihn mit Missachtung. »Ihr kennt unsere Gesetze nicht. Ich bin ein Verstoßener. Auf eurer Ebene des Daseins besitze ich keine Konsistenz.«
    Als er sah, dass die vier ihn nicht verstanden, winkte er Lisa zu sich heran. »Komm her«, bat er.
    »Geh nicht«, zischte Nils besorgt seiner Schwester zu.
    Aber Lisa machte tapfer einige Schritte nach vorne, bis sie direkt vor dem Engel stand. Er war viel größer als sie, und sein Mantel flatterte noch immer wie der Flügelschlag eines Drachen. Einen Moment lang überkam sie panische Angst: Was, wenn er sie jetzt packte und einfach mit ihr davonflog?
    Doch Azachiel tat nichts dergleichen. Stattdessen sagte er: »Streck die Hand aus, und berühre mich!«
    »Tu’s nicht!«, rief Nils noch einmal hinter Lisas Rücken, aber sie hörte nicht auf ihn.
    Langsam schob sie die Hand vor, geradewegs in die Schwärze seines Brustkorbs.
    Ihre Finger trafen auf keinen Widerstand.
    Es war, als wäre vor ihr nichts als leere Luft.
    Erschrocken zuckte sie zurück, stolperte zwei Schritte nach hinten.
    Azachiel lächelte sanft. »Ihr könnt mich nicht

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