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Sieben Siegel 10 - Mondwanderer

Sieben Siegel 10 - Mondwanderer

Titel: Sieben Siegel 10 - Mondwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Nein, der Ballon versuchte auch nach links und rechts, nach vorne und hinten auszubrechen – so als wäre etwas darin gefangen, das einen Weg nach außen suchte.
    »Das darf doch nicht wahr sein«, flüsterte sie. Ihre Finger wurden ganz kalt vor Schreck.
    Chris hatte sie beobachtet und dabei auf die Bewegungen seines eigenen Ballons geachtet. Jetzt bemühte er sich, das schwarze Oval am Faden zu sich herabzuziehen, doch der Ballon zeigte sich ungewöhnlich widerspenstig.
    »Es geht nicht«, stellte er schließlich fest. »Als würde etwas ihn dort oben festhalten.«
    Auch Lisa gelang es nicht, die Kugel nur eine Fingerlänge nach unten zu ziehen. Der Faden blieb straff gespannt.
    »Das gibt’s doch gar nicht.« Chris nahm die zweite Hand zu Hilfe. Vergeblich. Der Ballon schwebte unvermindert in der Luft.
    Lisa versuchte, einen besseren Blick auf das zu erhaschen, was sie im Inneren des Ballons vermutete. »Ich wüsste gerne, was da drin ist«, brachte sie verbissen zwischen den Zähnen hervor.
    Doch die schwarze Hülle war vollkommen blickdicht. Lisa drehte sich so, dass der Ballon zwischen ihr und einem der grellen Scheinwerfer schwebte, aber auch das half nicht weiter. Nicht einmal eine vage Silhouette war zu erkennen.
    »Aber da ist doch irgendwas! Ich kann’s ganz genau fühlen.«
    Chris nickte beipflichtend. »Wenn wir nur wüssten, was diese Kerle vorhaben …«
    Lisa schaute sich erneut auf der Wiese um. Mittlerweile hatte jeder der über hundert Besucher einen Ballon am Faden in der Hand. Die meisten unterhielten sich weiter mit ihren Freunden und schenkten ihren Ballons keine Aufmerksamkeit. Auch das sanfte Ziehen schien niemandem aufzufallen.
    Der Mann im Frack stand noch immer in der pulsierenden Öffnung im Mittelwaggon. Hinter ihm war nichts als Dunkelheit, so als verberge ein schwarzer Vorhang das Innere des Wagens. Oder eine Wand aus Schatten.
    Ohne ihre Ballons aus den Augen zu lassen, gingen Lisa und Chris weiter. Ganz so hatte ich mir meine erste Verabredung mit Chris nicht vorgestellt, schoss es Lisa durch den Kopf. Die Siegel auf ihrem Arm verlangten all ihre Aufmerksamkeit, ebenso wie die unbekannte Gefahr, in der sie schwebten. Trotzdem warf sie immer wieder unauffällige Blicke zu Chris hinüber, bis ihr klar wurde, dass er es bemerkte und lächeln musste. Sie wurde knallrot und konzentrierte sich erneut auf die Flanke des Bahndamms.
    Hoch über ihnen wölbte sich die Nebeldecke wie ein Spezialeffekt in einem Film. Das düstere Wallen und Wogen sah aus wie Tinte, die jemand in ein Wasserglas träufelte. Möglich, dass es an dem künstlichen Licht der vier Riesenscheinwerfer lag, die die Unterseite der Nebelschwaden in ein irreales, beängstigendes Gleißen tauchten. Lisa hatte das Gefühl, als drückte der Nebel von oben auf sie herab. Vielleicht aber rührte das auch nur von der Ungewissheit über den Inhalt der Ballons. Sie war jetzt überzeugt, dass etwas Lebendiges darin gefangen war. Etwas Hungriges, möglicherweise.
    »Was, wenn wir sie einfach fliegen lassen«, schlug Lisa vor, jetzt noch leiser, denn sie waren nur noch wenige Schritte vom Bahndamm entfernt. Die drei Schattenmänner mit ihren blanken Gesichtern starrten ihnen augenlos entgegen.
    »Auf keinen Fall«, meinte Chris. »Wer weiß, wo sie dann landen. Stell dir vor, irgendein Kind findet so ein Ding in einem Baum, nimmt es mit nach Hause, sticht vielleicht mit einer Nadel hinein und befreit –«
    »Schon gut, schon gut«, unterbrach sie ihn hastig. »Du hast ja Recht. Es ist nur … na ja, ich würde diese Dinger gern so schnell wie möglich loswerden.«
    »Geht mir genauso.«
    Vor ihnen wuchs jetzt die Schräge empor. Über dem Gewirr aus Brombeersträuchern und hüfthohem Unkraut erhoben sich die schwarzen Waggons wie eine vorzeitliche Tempelanlage. Der Mann im Frack stand ähnlich einem Hohepriester eines dämonischen Kults in ihrem Zentrum.
    »Ich wünsche Ihnen allen einen guten Abend«, erhob er nun seine Stimme, und schlagartig verstummten die Gespräche der Besucher. Das Meer der schwarzen Ballons zitterte und vibrierte über ihren Häuptern wie ein gigantischer Rochen, der behäbig auf den Wogen eines Ozeans treibt.
    »Es freut mich, dass Sie den Weg hierher gefunden haben«, fuhr der Mann im Frack fort. Er zog galant seinen Zylinder vom Kopf und verbeugte sich. »Seien Sie herzlichst eingeladen zur größten Schattenshow des Universums – und der einzigen, wie ich Ihnen

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