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Sieben Siegel 10 - Mondwanderer

Sieben Siegel 10 - Mondwanderer

Titel: Sieben Siegel 10 - Mondwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Bettkante.
    Der Stern kauerte pulsierend neben ihrem Bettpfosten, in einer Pfütze aus ekligem weißem Glibber, der aus seiner Bauchöffnung triefte. Von oben sah er einem Seestern noch ähnlicher. Seine schwarze Haut war runzelig, und er hatte an der Oberseite keine Augen oder andere Sinnesorgane. Trotzdem zweifelte Kyra nicht daran, dass das Wesen gerade versuchte, sie zu wittern.
    Sie konnte eben noch den Kopf zurückziehen, als der schwarze Schleimstern in einer abrupten Bewegung nach oben schnellte, an ihr vorbeiraste und mit einem nassen Klatschen auf die Tapete neben ihrem Bett flatschte. Dort blieb er haften, während weißes Sekret die Wand herabsuppte. Kyra schüttelte sich vor Abscheu.
    Augenscheinlich hatte das Wesen es auf sie abgesehen. Warum aber griff es sie dann nicht an? Es war fast, als hätte es Mühe, sie zu finden. Es schien zu ahnen, dass sie sich ganz in seiner Nähe befand, war aber nicht in der Lage, ihre genaue Position auszumachen.
    Kyras Gedanken überschlugen sich. Das Auftauchen der widerlichen Viecher musste mit der Schattenshow zu tun haben, daran zweifelte sie nicht. Wenn das Wesen nicht in der Lage war, sie aufgrund ihres Geruchs, ihrer Atemgeräusche oder ihrer Bewegungen zu wittern, musste es sich offenbar auf etwas anderes verlassen. Welche Sinne mochte es benutzen, um sein Opfer aufzuspüren?
    Wieder stieß sich der Stern mit seinen Spitzen von der Wand ab, schlingerte über das Bett hinweg – und klatschte gegen die Dachschräge genau über Kyra. Dort blieb er abermals kleben, zitternd und bebend wie ein gewaltiges Herz. Wenn er sich jetzt fallen ließ, würde er genau auf Kyra landen.
    Ihre Instinkte gewannen die Oberhand. Sie rollte sich vom Bett auf den Teppich. Mit dem Gesicht landete sie auf der Stelle, an der eben noch der Stern gesessen hatte. Klebrige Nässe spritzte über ihr Gesicht. Der Ekel, gepaart mit dem Schmerz in ihrem Knöchel, ließ Kyra einen spitzen Schrei ausstoßen.
    Doch noch immer saß der Stern glibberig und pastös an der Schräge. Nicht einmal das Rumpeln ihres Sturzes und ihr Aufschrei hatten ihn auf sie aufmerksam gemacht. Und trotzdem war sie vollkommen sicher, dass er gerade ganz angestrengt versuchte, sie aufzuspüren.
    Die Schattenshow!, durchfuhr es sie. Natürlich, das musste es sein! Er ist auf der Suche nach meinem Schatten! Er wittert nicht den Geruch von uns Menschen oder unsere Laute – er wittert unsere Schatten!
    Kyra aber besaß keinen Schatten mehr. Beim Übergang in die Anderswelt war er verloren gegangen wie ein abgelegtes Kleidungsstück. War einfach fort.
    Bisher hatte sie sich noch keine allzu großen Gedanken darüber gemacht; die meiste Zeit vergaß sie völlig, dass sie überhaupt je einen Schatten gehabt hatte. Wer achtete schon ständig darauf, ob sein Schatten ihm nun überall hin folgte oder nicht?
    Jetzt aber, im Angesicht dieser Kreatur, war Kyra mit einem Mal dankbar für den Verlust. So wie es aussah, hatte er sie gerettet.
    Was war jedoch mit all den anderen Menschen in Giebelstein? Wie viele dieser Kreaturen regneten gerade auf die Stadt herab? Ein Dutzend? Fünfzig? Hundert?
    Für Chris und Lisa kam gewiss jede Warnung zu spät – sie befanden sich im Zentrum dieses ganzen Unglücks. Sicher wussten sie längst, was geschehen war. Und wie stand es um Nils? Die Ballons, die sie durchs Fenster gesehen hatte, waren von Norden gekommen, aus der Richtung des Bahndamms. Der Erkerhof aber lag im Süden. Gut möglich also, dass die Ballons das Hotel noch gar nicht erreicht hatten.
    Sie musste irgendwie zum Telefon gelangen. Nils hatte einen eigenen Anschluss in seinem Zimmer, doch der Apparat der Rabensons befand sich im Treppenhaus, eine Etage tiefer im ersten Stock. Allein bei dem Gedanken an den Weg die Stufen hinunter verdoppelte sich der Schmerz in ihrem Knöchel.
    Flaaaaatsch!
    Der Stern katapultierte sich über sie hinweg und schlug mit ausgebreiteten Spitzen auf die Tapete neben der Tür. Dort blieb er mit vibrierenden Muskelsträngen haften.
    Kyra zögerte nicht länger. Sie kroch auf allen vieren zum Eingang und griff nach der Klinke. Dann zog sie die Tür gerade weit genug auf, dass sie hindurchkriechen konnte. Es hatte keinen Zweck, wenn sie versuchte, sich auf die Beine zu stemmen – mit ihrem geschwollenen Knöchel würde sie gleich wieder einknicken und die Treppe hinunterstürzen.
    Sie robbte durch den Türspalt und behielt dabei den pochenden Schleimstern so lange wie möglich im Auge. Aber wieder

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