Sieben Stunden im April
fragen immer. Zu viel und das Falsche. Besonders die katholischen. Traue ihnen nie, weil sie kein Interesse an den Antworten haben. Mich irritiert, dass er nichts fragt. Es verunsichert mich. Er tut so, als sei alles völlig normal. Was ist daran normal, wenn eine fremde Frau in einem fremden Leben für einen fremden Menschen Frühstück macht? Ich bin ungerecht und ich weiß das. Ich weiß das und das macht mich traurig. Die Traurigkeit verunsichert mich. Wenn ich unsicher bin, werde ich schnell ungerecht. Ich weiß das.
Er ist hier, weil mein Mann sich das gewünscht hat. Mein Mann kennt ihn von früher. Er sagte, der, der gerade sein Ei abpellt, sei ein Mensch. Diesen Ehrentitel verleiht mein Mann nur sehr selten. Er sei ein Mensch. Ja, das hat er gesagt. Und sich gewünscht, dass er unsere Eheringe segnet. Das ist der Grund seines Besuchs.
Unsere Eheringe sind am Tag zuvor per Post gekommen. Direkt aus der Stadt, in der ich mein altes Leben verloren habe. Von einem Juwelier, einem Künstler mit langen Haaren, nikotingelben Fingern und einem Rehpinscher, der Erwin heißt und viel kläfft. Rehpinscher sind out, lange Haare sind out. Rauchen sowieso. Und das macht diesen Künstler zu etwas sehr Besonderem.
Wir hatten sie in der Auslage gesehen. Eheringe aus Kupfer und Silber. Handgeschmiedet nach alter japanischer Technik. Sehr besonders. Wir hatten schon immer ein Faible für das Besondere. Im Guten wie im Schlechten.
Der Frühstückstisch ist abgeräumt. Die Eheringe liegen in der Mitte unseres zerkratzten Holztisches in einem Kästchen. Neu und unschuldig. Noch nicht ahnend, zu welchen Händen sie gehören werden. Neu, unschuldig und glänzend.
Mein Mann stellt ein Teelicht daneben. Und einen kleinen Buchsbaumzweig, fast vertrocknet, den unser Künstler mitgeschickt hatte. Ein Gruß aus einem anderen Leben und einer anderen Zeit.
Wir sitzen. Ingo steht. Wir blicken in die Kerze und auf die Ringe und den Buchsbaum. Schweigen. Wir schweigen, bis Ingo anfängt zu sprechen.
Was soll das? Was mache ich hier eigentlich? Ist das irgendwann mal zu Ende. Peinlich. Das ist irgendwie alles peinlich.
Was er dann sagt, geht nur ihn, uns und Gott etwas an. Mein Mann weint. Ich versuche, zuzuhören und verstehe nichts. Ich halte seine Hand. Zumindest wünsche ich mir, dass ich es getan habe. Damals in der Küche, einen Tag vor unserer Hochzeit.
Ich höre Ingos Worte und denke, das alles hier ist Menschenwerk. Und ich spüre: Nein, das ist es nicht.
Ingo segnet die Ringe. Menschenwerk?
Der Ring, der in dem Moment, in dem ich diese Zeilen schreibe, an meiner rechten Hand blitzt. Immer noch glänzend, aber nicht mehr wie neu. Und nicht mehr unschuldig. Der Ring meines Mannes ist viel dunkler geworden im Laufe der Zeit. Die dunkle und die helle Seite einer Seele. Sagt mein Mann. Oxidation, sagt der Künstler. Kein Menschenwerk, sage ich.
Sag mal, fragte mein Mann mich irgendwann: Enthält dein Buch eigentlich auch Selbstkritik? Nö. Dann nenn es doch besser »In meinem Himmel ist Jahrmarkt«. Sprach’s und verschwand. Humor hat er, das muss ich ihm lassen.
Ich blicke auf meine rechte Hand und dann aus dem Fenster. Ich sehe einen klaren, blauen Sommerhimmel. Meinen Himmel. In meinem Himmel ist Jahrmarkt. Und die Karussells drehen sich schnell, die Musik ist laut und aufdringlich, die Stimmen der Losverkäufer halten dagegen. Alles ist viel zu laut, zu schnell, zu chaotisch, zu bunt, zu schrill. Und manchmal findet der Jahrmarkt sogar auf der Autobahn statt.
Frau Bergmann macht Probleme
Wir sind auf der Rückfahrt nach Hause. Der Nachmittag war schön. Wenig Verkehr auf der Bundesstraße, die uns durch die Heide führt. Vor nicht so langer Zeit gab es hier noch Stände mit Heidelbeeren. Die »dicken Blauen«, so hießen sie und so schmeckten sie auch. Die Sonne scheint und ich merke, dass etwas nicht stimmt, dass sich etwas Ungutes ankündigt. Zu viel Kaffee? Vielleicht. Zu viele Zigaretten? Bestimmt. Wir fahren weiter. David, mein wunderbarer Sohn, fährt. Er fährt wie immer: konzentriert, sicher, glücklich und stolz.
Begleitetes Fahren. Führerschein mit siebzehn. Er ist stolz und gelassen. Da wir mittlerweile bereits einige Kilometer in dieser Konstellation hinter uns gebracht haben, kralle ich mich nicht mehr mit schweißnassen Händen im Beifahrersitz fest, aber entspannt geht irgendwie auch anders. Es fühlt sich einfach komisch an, wenn der kleine Scheißer, dem ich vorgestern noch die Windeln gewechselt
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