Sieben Wind
Can konnte sich dies ersparen, da seine Pflegeeltern letztes Jahr verstarben. Aber, dass er Isak, Lu und Lucy ohne Lebewohl sagen zu dürfen, verlassen musste, das tat ihm sehr weh.
Sieben beschloss ihnen einen Abschiedsbrief zu schreiben und sich dann heimlich zu verdrücken. Da Lu und Isak nicht da waren, würde dies nicht so schwer werden.
« Can, geh du nach Hause und pack uns genug Verpflegung und Schlafsachen für die nächste Zeit ein. Ich werde noch ein paar Dinge von zu Hause mitnehmen. Wir treffen uns dann in einer Stunde wieder hier, ja?»
« Ist gut. In einer Stunde», antwortete Can und verschwand.
Sieben pochte das Herz, als er sich auf den Rückweg machte. Je näher er dem Baumhaus kam, desto nervöser und unwohler wurde ihm. Als er ankam, war Lucy nicht da.
Also stimmten die Bilder, die er gesehen hatte.
Dann war Lucy wirklich Pilze sammeln. Gut, dachte sich Sieben, dann würde ihm das, was er tun musste, leichter fallen.
Wenn er was ganz schlecht konnte, dann Lucy anlügen. Sie durchschaute ihn jedes Mal.
Er packte das Nötigste zusammen und schrieb noch einen kleinen Abschiedsbrief.
Er legte den Brief ins Schlafzimmer von Lucy und Lu. Sein Blick fiel auf den Podo, mit dem Lu vor etlichen Jahren Lucy einen Heiratsantrag gemacht hatte. Er war an eine Kette gebunden und hing über ihrem Bett, als Zeichen ihrer ewigen Liebe. Sieben nahm die Kette und sagte zu sich: «Verzeiht mir, aber das wird mich in kalten und fremden Tagen an euch erinnern.»
Dann trat er zur Haustür und bevor er den Raum verließ, blickte er sich noch einmal um und schien all die schönen, glücklichen und unbeschwerten Jahre, die er hier verbracht hatte, Revue passieren zu lassen. Er würde sie alle sehr vermissen. Sieben konnte seine Tränen nicht zurückhalten und sagte, um sich Mut zu machen: «Ich komme wieder, versprochen. Versprochen …, denn ich liebe euch, meine Familie, meine Heimat.»
Er verließ den Raum und bog um den Baum in den Wald.
In dem Moment, als er um die Ecke bog, kam Lucy links von der anderen Seite und sah Sieben.
« Wo willst du hin? Sieben, wozu hast du einen Rucksack?»
Sieben sah sie mit leuchtenden Augen, die Tränen zurückhielten, an. Es schien, als wären seine Augen ein See, der gestaut worden war und drohte auszulaufen.
Er wollte etwas sagen, brachte jedoch kein Wort heraus, und begann zu laufen. Lucy war starr vor Schreck.
Sie konnte nur noch kurz «Sieben, Sieben Wind geh nicht» rausschreien und brach dann zusammen.
Es war ihr Instinkt, der ihr sagte, dass Sieben nicht für einen Mittag, einen Tag oder ein Woche weggehen würde. Ihr Instinkt und sein Albtraum, den sie mitbekommen hatte, sagten ihr, dass sie ihren über alles geliebten Sieben Wind nie mehr sehen würde.
Dabei hatte sie ihm Pilze gesucht, um sein Lieblingsgericht zuzubereiten.
Was sollte sie jetzt nur tun, alleine? Was sollte sie Lu und Isak erzählen?
All ihre Befürchtungen der letzten Jahre, dass eines Tages der Abschied kommen würde, fanden in diesem Augenblick ihren negativen Höhepunkt.
Noch minutenlang verharrte sie am Boden, unfähig jeglicher Reaktion.
Unfähig, noch weiter leben zu wollen. Nur mit einem Gedanken beschäftigt. Warum? Warum? Was war passiert, dass er gehen musste, vor allem so?
Nach einer Weile ging sie in ihr Baumhaus, las den Abschiedsbrief, den sie danach fallen ließ und wollte nur noch schlafen, als sie dann eine Stimme hörte.
« Sorge dich nicht um ihn. Er ist angetreten, eine Reise zu beginnen. Von seinem Leben wird alles Leben abhängen. So glaube an ihn, damit du ihn bald wieder in die Arme nehmen kannst.»
Es war die Stimme von Liviane, die Lucy nicht kannte. Aber sie hatte eine beruhigende Wirkung auf sie. Und ihr Lebensmut kehrte zurück. Sie wusste jetzt, dass Sieben Wind ein besonderes Schicksal bestimmt war, welches mit normalen Maßstäben nicht zu vergleichen war. Sie wollte jetzt leben, um ihn wieder in die Arme nehmen zu können, denn sie glaubte an Sieben Wind und sagte demonstrativ: «Los mein Junge, wenn es einer kann, dann du. Zeig ihnen, wo der Hammer hängt! Wir warten hier auf dich. Mach dir keine Sorgen um uns. Und vergiss nicht, wir werden dich immer lieben!»
Was sie nicht ahnte, war, dass zur gleichen Zeit Sieben, der unter Tränen tiefer in den Wald lief, auf einmal stehen blieb und in Gedanken die Worte Lucy’s hörte.
Dass diese Worte, die er da in Gedanken vernahm, keine Einbildung waren, darüber hatte er keine Zweifel.
Er antwortete:
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