Sieben
Behandlung des ägäischenWanderarztes begeben mögen, der in seinem Leben nie einen Leichnam von innen gesehen, trotzdem siebzig medizintheoretische
Werke verfasst – darunter sieben Bände über Epidemien –, sieben menschliche »Ausflüsse« ermittelt, die optimale Schwangerschaftsdauer mittels der Zahlen Vier und Sieben arithmetisch
auf 4 x 7 x 10 = 280 Tage festgelegt, bei Unfruchtbarkeit
allmonatlich sieben Efeukörner in altem Wein
verschrieben und bei Hämorrhoiden die Empfehlung ausgesprochen hatte, sich möglichst drei bis vier Mal alle sieben Tage zu
erbrechen.
Dass er bei alledem dennoch rund neunzig Jahre alt wurde, mag Hippokrates somit weniger seiner sieben- und säftelastigen Diagnostik
als vielmehr der täglichen Bewegung als Wanderarzt verdankt haben, samt dem Umstand, dass er stets bereits weit weg war, sobald
sich manch unerwünschte Folge seiner Verschreibungen zeigte.
Dass man in der hellenistischen Antike zugleich als Arzt, Politiker, Sühnepriester und Dichter zu Ruhm und Ansehen gelangen
konnte, beweist, dass die Kulturentwicklung einer Gesellschaft (nicht gemeint sind Technologie und Wirtschaftswachstum) mitnichten
des Spezialistentums bedarf. Einer, für den eine solche Multiprofessionalität zutraf, war der um 490 vor Christus in Sizilien
gebürtige, bereits erwähnte Empedokles. Dieser hatte – nicht unähnlich der fernöstlichen Vorstellung vom Yin und Yang – Liebe (Philotes) und Hass (Neikos) als die zwei polaren Urkräfte angesehen, die im wechselnden Zusammenspiel mit den vier
Elementen Feuer, Erde, Luft und Wasser alles Geschehen auf dieser Welt bestimmten. Eine gleichsam »tetralogische« Weltauffassung
also, die nicht nur zur Haltbarkeit der hippokratischen Viersäftelehre beitrug, sondern teils auch das aristotelische und
platonische Denken beeinflusste. À la longue war jedoch der Vierelementelehre in den Naturwissenschaften eine relativ kurze
Haltbarkeitszeit beschieden, nicht so jedoch in Astrologie (zwölf den vier Elementen zugeordnete Tierkreiszeichen), Numerologie
(vier als Zahl der Materie) und Religion. So nutzte insbesondere die frühchristliche Exegese das Summenspiel zwischen »weltlicher
Vier« und »göttlicher Drei«, um der »heiligen Sieben« zusätzliches arithmetisches Unterfutter zu geben. Etwa indem man die
»sieben Tugenden« in die drei »theologischen« Tugenden Glaube, Liebe, Hoffnung und die vier »Kardinaltugenden« Klugheit, Gerechtigkeit,
Tapferkeit und Mäßigung teilte. Ebenso die sieben Bitten des Vaterunsers in drei auf Gott (Dein Name, Dein Reich, Dein Wille)
und vier auf die Menschen bezogene Bitten (tägliches Brot, Schuldvergebung, Abwehr der Versuchung, Erlösung von dem Bösen).
Dass antikes Denken und frühmittelalterlich-theologisches Rechnen sogar den weltlich-europäischen Machtapparat über viele
Jahrhunderte zu beeinflussen vermochte, zeigt die Zusammensetzung des kurfürstlichen Septemvirats im Heiligen Römischen Reich
des 13. bis 17. Jahrhunderts aus vier weltlichen Fürsten (bei Rhein, Brandenburg, Sachsen, Böhmen) und drei Erzbischöfen (Mainz, Köln, Trier).
Dabei war die hippokratische Strategie, Diagnose, Prognose und Behandlungsmethoden an Zahlen und deren Verknüpfungen festzumachen,
aus damaliger Sicht durchaus nachvollziehbar. Verhielten sich nicht auch Natur und Kosmos nach zyklischen und damit mess-
und zählbaren Gesetzmäßigkeiten? Folgten nicht Schwangerschaft, Adoleszenz und Lebensalter der Menschen im großen Ganzen dem
immer gleichen periodischen Muster? Und ließ sich dieses Muster nicht in der Zahl Sieben finden?
Es konnte doch in der Tat kein Zufall sein, dass Kinder regelmäßig mit sieben Jahren ihre zweiten Zähne bekamen, dass sie
mit zwei Mal sieben Jahren die Schwelle zum Erwachsenenalter erreichten, dass man sie in der Regel mit drei Mal sieben Jahren
als »erwachsen« bezeichnen konnte und dass es kaum eine Frau gab, die nicht im Alter von sieben Mal sieben Jahren vom Klimakterium
betroffen war.
Dass des Menschen Lebensdauer im Idealfall etwa zehn Mal sieben Jahre währte, so es nicht vorzeitig durch Krieg, Mord oder
Krankheit endete, wusste man spätestens seit Solon, jenem Athener Lyriker und Staatsmann (zirka 640 – 560 vor Christus), den man ob solcher Erkenntnisse posthum zu den »Sieben Weisen« zählte. Und das, obwohl er besagte Theorie
durch seine eigene Lebensspanne Lügen strafte.
Wer in solcherlei
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