Siebenmeter fuer die Liebe
die Fußballschuhe angucken, oder die Bälle, was auch immer. Komm.«
Er guckt ein bisschen maulig, drückt die Tüte an sich und trottet neben mir her. Die Schnürbänder finde ich sofort, nur an der Kasse ist eine lange Schlange, in die wir uns einreihen. Es ist warm. Laute Musik wummert aus den Lautsprechern, auf mehreren Bildschirmen laufen Werbefilme und Anton drückt sich an mich.
»Ich habe keine Lust, so lange zu stehen. Es ist so laut hier.«
|143| »Ich weiß, aber ich muss ja bezahlen. Wir sind doch gleich dran.«
Seine Unterlippe zittert. »Ich kann aber nicht mehr stehen.«
Manchmal kann er einem wirklich auf den Geist gehen. Nur weil er lesen will.
»Du hättest ja auch bei dem Hund bleiben können. Jetzt nerv nicht.«
Die Unterlippe zittert stärker. »Aber ich …«
»Anton! Echt jetzt!« Seine Augen hinter der Brille werden glasig, sofort tut er mir leid. »Da vorn ist eine Bank. Setz dich da hin und guck in dein Buch, bis ich bezahlt habe. Dann brauchst du nicht mit mir zu warten.«
Mit tränenfeuchtem Lächeln dreht er sich um und geht auf die Bank zu. Sobald er sitzt, holt er sein Buch aus der Tüte und schlägt es auf. Er guckt noch einmal hoch und grinst mich an, dann versinkt er in den Seiten.
Ich wende mich wieder um und zähle die Leute, die vor mir in der Schlange stehen. Noch sechs. Und alle haben auch noch mehrere Teile. Auf dem Monitor über der Kasse läuft gerade eine Nike-Werbung. Direkt danach schwenkt eine Kamera durch eine Sporthalle, die mir bekannt vorkommt. Tatsächlich, es ist die Color Line Arena. Und das Bild kommt mir bekannt vor, weil ich die TH W-Kiel - und die HS V-Farben erkenne. Es ist eine Aufzeichnung des Spiels, das wir letzte Woche gesehen haben. Wahnsinn. Und jetzt schwenkt |144| die Kamera auch noch über die Tribüne und stoppt an der Auswechselbank. Und plötzlich kann ich uns sehen! Florian Hoffmann, der applaudiert, Frieda, die hektisch Notizen macht, Jette, die ihren Arm hochreißt, und – ach du Schande – wie sehe ich denn da aus? Ganz verbissen und ernst. Hinter mir beugt sich was Rothaariges vor, jetzt sind wir auch noch zusammen im Fernsehen, wie peinlich. Er lächelt zu mir runter, oder mich an, wie guckt der denn?
»Gehst du bitte mal ein Stück vor?«
Eine Frau hinter mir stupst mich leicht an die Schulter, ich habe nicht bemerkt, dass die Schlange nachgerückt ist. Vor mir ist eine Riesenlücke.
»Oh, Entschuldigung.«
Wir rücken auf, ich muss mir fast den Hals verrenken, um weiterzugucken. Jetzt wird das Spiel gezeigt, es ist schon die zweite Halbzeit. In einer Spielunterbrechung kommt wieder die Auswechselbank ins Bild, die Kamera macht einen Schwenk ins Publikum und zeigt Julius, der ganz ernst aufs Spielfeld guckt. Anscheinend macht Fernsehen schön, auf einmal sieht er eigentlich ganz gut aus. Ein Wunder!
Mein Puls schlägt ganz oben in meinem Hals, es ist auch wirklich warm hier, und um mich abzulenken, drehe ich mich zu Anton um. Und jetzt verdoppelt sich mein Pulsschlag und es wird noch heißer. Anton ist weg. Wie vom Erdboden verschluckt, neben seinem Platz liegt das Buch, darunter die Tüte, nur er ist nicht zu sehen. Hektisch trete ich aus der Reihe und laufe |145| zu der Bank. Nichts. Ein Mann setzt sich auf Antons leeren Platz, um Turnschuhe anzuprobieren. Als ich vor ihm stehe, hebt er den Kopf und deutet auf das Buch. »Gehört das dir?«
»Nein, meinem Bruder. Er saß doch gerade noch hier.«
Der Mann schüttelt den Kopf und schnürt den Turnschuh zu. »Nein, ich probiere schon das zweite Paar, hier war niemand. Der ist dir wohl ausgebüchst.«
Er grinst so bescheuert, dass ich ihm eine reinhauen könnte. Stattdessen versuche ich, durch die Nase zu atmen, um die kalte Panik, die mich erfasst, unter Kontrolle zu bekommen.
Wo steckt mein Bruder? Und wieso hat er das Buch liegen gelassen? Ich greife danach und lege die Schnürsenkel an die Stelle. Das Buch an mich gedrückt, überlege ich fieberhaft, wo ich suchen soll. Vielleicht musste er zur Toilette? Ich suche ein Hinweisschild und finde es auch. Gegenüber vom Gang sehe ich Türen. Das wird die Erklärung sein, deswegen hat er auch das Buch liegen gelassen, er kommt ja gleich wieder zurück. Ich kann ihm ja entgegengehen. Niemand ist in dem Raum, dann fällt mir ein, dass Anton doch nicht auf die Damentoilette geht. In die andere kann ich aber nicht gehen. Ich atme übertrieben, ein, aus, ein, aus. Ruhig bleiben! Nachdenken! Ein jüngerer Mann geht an mir
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