Siebenpfahl (German Edition)
draußen.«
Margret erhob sich. »Ich werde euch richtige Kleidung besorgen, dann
könnt ihr euch frei auf der Burg bewegen.«
Irmel hatte plötzlich die Neugierde gepackt. Sie lief zum Fenster
und streckte sich soweit es ging, doch war sie zu klein, um hinausblicken zu
können. Conrad lachte. Er hob sie hoch und gemeinsam blickten sie zum Turm
hinüber, doch von ihrer Position aus waren die fremden Männer nicht zu sehen.
»Ich müsste mal auf’s WC«, raunte Tom verlegen.
»Auf’s was?«, fragte Conrad, denn dieses Wort hatte er noch nie gehört.
»Also, ich muss mal einen … ääähh … also … ich muss mal was Großes
machen.«
Zuerst schauten sich alle an, dann verfielen sie in schallendes Gelächter.
Margret lachte so herzhaft, dass Conrad dachte, sie würde gleich vor Atemnot
umfallen. »Ich muss mal etwas Großes machen«, äffte sie Tom nach und schlug
sich dabei mit der flachen Hand auf den Oberschenkel.
Conrad lächelte verständnisvoll, dann setzte er Irmel ab und wandte
sich den Jungen zu. »Kommt gleich alle mit, ich zeige euch, wo sich der Abort
befindet.«
»Erst die Kleidung, Conrad!« Margret hatte sich wieder beruhigt
und wischte sich mit den Händen die Tränen aus dem Gesicht, die sie vor lauter
Lachen vergossen hatte.
Tom verzog die Mundwinkel. »Jaja, echt lustig!«
Alle lachten.
*
G anz oben im Bergfried (Burgturm ): Siebenpfahl, der Oberste
der lebenden Magier, stand an einem der vier Turmfenster und blickte über die
anderen Gebäude hinweg in die Ferne. Sein Gesicht war von tiefen Falten
durchzogen, sein Kinn spitz und hervorstehend. Seine Augen lagen in tiefen
Höhlen – bedrohlich, fast schon gefährlich wirkend. Regungslos und nachdenklich
stand er da, die Hände hinter dem Rücken verschränkt: Sein Vater hatte
damals versucht, an das „Buch der Zauberpulver“ zu gelangen. Er konnte sich
noch genau daran erinnern, wie er mit ihm zusammen die „Höhle der Zeit“ betreten
hatte, in der es sich befand. Sie war ihm damals wie eine andere Welt
erschienen. Ehrfurchtsvoll und fasziniert hatte er sich umgeschaut, als sein
Vater plötzlich auf ein Buch gedeutet hatte. Er hörte noch jetzt die Worte
seines Vaters: » Dieses Buch wird unsere Familie für immer und ewig vereint
sein lassen! « Das Buch hatte auf einem Felsvorsprung gelegen und war von
der Sonne angestrahlt worden. Sein Vater hatte es holen wollen, doch als er die
Stelle fast erreicht hatte, waren aus dem Nichts die Steine gekommen. Zu
hunderten waren sie durch die Höhle geflogen … und jedes Mal, wenn sein Vater
von einem getroffen worden war, hatte er vor Schmerz aufgeschrien.
Dann war hoch über ihnen in der Luft ein Mann erschienen, durchsichtig – aber dennoch deutlich zu erkennen. Sein spöttisches Lachen
hatte die ganze Höhle erfüllt. » Du wirst das „Buch der Zauberpulver“ niemals
bekommen, dafür werde ich sorgen! «, hatte er gerufen, während sein Vater
vor Erschöpfung am Boden lag – stöhnend und flehend, den Spuk zu beenden.
Als der Spuk dann endlich vorbei gewesen war, war der Wächter auf seinen Vater
zugeschwebt. Er konnte sich noch genau daran erinnern, wie schnell er sich bewegt
hatte. » Verlasst sofort diese Höhle!«, hatte sie der Wächter mit bedrohlicher
Stimme aufgefordert und er hatte damals gespürt, dass er die Welt der Geister
betreten hatte. Ein Gefühl der Angst war über ihn gekommen, doch auch das
Gefühl der Faszination. Bis auf die Steine, die seinen Vater so empfindlich
getroffen hatten, hatte es ihm damals sogar gefallen. Er hatte überlegt, warum ihn
der Wächter bisher verschont hatte, und war mutig zu dem Felsvorsprung gegangen
und hatte das Buch genommen. Er hatte zu dem Wächter hinübergeblickt, abwartend
und gespannt darauf, was nun passieren würde. » Was hat es mit dem Buch
auf sich, dass du es so sehr bewachst? «, hatte er dem Wächter zugerufen
und gehofft, dass dieser sich sogleich wieder zeigen würde; doch nur die Stille
und das Stöhnen seines Vaters waren zu hören gewesen.
Da plötzlich war ihm der Wächter erschienen, direkt vor ihm, ihm
tief in die Augen blickend. » Wer dieses Buch sein Eigen
nennt und dazu Böses im Schilde führt, der kann die Macht über die Zeit
erlangen und somit viele Menschen ihres Lebens berauben. Er kann den Kreislauf
der Natur unterbrechen. Daher werde ich niemals zulassen, dass dieses Buch in
die falschen Hände gelangt! « Nach diesen Worten hatte sich der Wächter
wieder entfernt und er hatte die
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