Siebenschön
schloss und gleich darauf wieder öffnete, als ließe sich das, was um sie herum war, auf diese Weise einfach wegblinzeln.
»Und jetzt sieh dir das hier mal an!« Er zoomte auf etwas, das neben dem Bett stand.
»Was ist das?«
»Ein Infusionsständer, würde ich sagen.«
»Das Carboplatin.« Sie schüttelte fassungslos den Kopf. »Was für ein Teufel!«
»Und was …« Das Rot von Gehlings Wangen vertiefte sich. »Was fangen wir jetzt damit an?«
»Schwierig.« Em stieß einen unterdrückten Fluch aus. »Als Beweis vor Gericht ist das nicht zulässig, weil wir uns das Material auf illegalem Weg beschafft haben.«
Gehling gab einen zustimmenden Seufzer von sich.
»Aber wir werden trotzdem ruck, zuck einen Gerichtsbeschluss zur Durchsuchung von Westens Wohnung bekommen«, gab Em sich optimistisch. »Und wenn wir Glück haben, ist diese Scheiße da dann immer noch auf seinem Rechner …«
»Was mich wundert, ist, dass er überhaupt so lax damit umgeht.« Gehling warf eine neue Münze ein und drückte noch mal dasselbe. »Ich meine, immerhin musste er doch schon seit eurem Gespräch neulich jederzeit damit rechnen, dass wir ihn überprüfen.«
Doch Em wischte den Einwand mit einer entschlossenen Geste vom Tisch. »Darf ich mir das mal leihen?«, fragte sie und deutete auf das Tablet.
»Klar.«
Sie nickte und kehrte an ihren Schreibtisch zurück.
»Wie blöd kann man sein?«, murmelte Zhou, nachdem Em ihr die Aufnahmen vorgespielt hatte.
»Ich schätze, das muss ich Makarov zeigen«, sagte Em.
Zhou nickte. »Ja, vermutlich.«
»Kommen Sie mit?«
»Soll ich?«
Em grinste. »Warum nicht? Wenn der Frischling dabei ist, wird er vielleicht nicht ganz so sauer.«
Tolle Begründung, las sie in den Augen ihrer Partnerin.
»Sie mögen ihn nicht, oder?«, fragte Em, während sie geradewegs auf Makarovs Büro zusteuerten, dessen Tür ausnahmsweise geschlossen war.
»Sie meinen Westen?«
»Ja.«
»Ich habe kein gutes Gefühl«, entgegnete Zhou, und Em war nicht sicher, ob sie tatsächlich Westen oder doch eher Makarov meinte.
Doch ihr blieb keine Zeit, darüber nachzudenken. Sie klopfte gegen das Glas der Tür und hörte gleich darauf das »Herein« ihres Vorgesetzten. Allerdings wäre sie nach ihrem Eintreten beinahe rückwärts wieder aus dem Raum getaumelt, denn auf einem der beiden Stühle vor Makarovs Schreibtisch saß Sander Westen und blickte ihnen aus tiefen blauen Augen entgegen.
»Ah, Emilia!«, rief Makarov erfreut. »Kommen Sie rein! Ich wollte Sie sowieso gerade holen.« Seine fleischige Hand wedelte einladend durch die abgestandene Heizungsluft.
Ems Augen suchten Zhou, die ebenfalls völlig baff zu sein schien. »Ich denke, Sie haben Patienten«, wandte sie sich an Westen. Immerhin war er erst vor wenigen Stunden mit ebendieser Begründung aus dem Präsidium verschwunden.
»Es ist etwas dazwischengekommen«, gab der Psychologe in undefinierbarem Ton zurück.
»Soso.«
»Dr. Westen hat etwas auf seinem Computer gefunden, das Sie sich unbedingt ansehen müssen«, erklärte Makarov, und Em und Zhou brauchten gar nicht erst auf den Bildschirm zu sehen, um zu wissen, dass es sich um die gleichen Bilder handelte, die Gehling auf der Festplatte des Psychologen entdeckt hatte.
Entweder der Kerl ist wirklich unschuldig, überlegte Em, während ihr die tote Sarah Kindle auf dem Bildschirm direkt in die Augen blickte. Oder das hier ist der brillanteste Schachzug seit Putins Skandalisierung von Pussy Riot!
»Wo kommt das her?«, fragte sie.
Makarov sah hoch. »Dr. Westen hat nicht den Hauch einer Erklärung dafür, wie dieses Bildmaterial auf seinen Rechner gelangt sein könnte«, erläuterte er, was Em nicht anders erwartet hatte. »Aber er hat uns selbstverständlich volle Kooperationsbereitschaft zugesichert.«
9
»Das könnte genauso gut ein Trick sein«, fauchte Em, als Zhou und sie wenig später an ihre Schreibtische zurückkehrten. »Er wusste, dass er sowieso nicht mehr drum herumkommt, also kooperiert er.«
»Immerhin bekommen wir endlich Einsicht in sämtliche Patientenakten«, wandte Decker ein. »Und eine Liste seiner Studenten.«
»Das ist ein Fass ohne Boden«, stöhnte Zhou.
»Wir sollten uns zunächst auf die Gutachten konzentrieren«, entschied Em, indem sie an etwas dachte, das Koss ganz am Anfanggesagt hatte: Es würde mich nicht wundern, wenn es in seiner Vergangenheit einen Vorfall gäbe, der mit seiner Außenwirkung zu tun hat. Das Urteil eines Menschen, das er als falsch
Weitere Kostenlose Bücher