Siebenschön
unfähigen kleinen Freund außen vor zu lassen. Sonst stehen Sie am Ende da und haben gar nichts.«
Empört trat sie einen Schritt zurück. »Wie meinen Sie das?«
»Oh, Sie verstehen mich schon.« Er zwinkerte ihr zu. »Es ist nur ein Rat«, wiederholte er dann. »Was Sie daraus machen, ist Ihre Sache.«
Sie starrte ihn mit einer Mischung aus Anerkennung undEntrüstung an. Wer war dieser Typ? Wie viel wusste er über sie und ihr Leben? Und was, um Himmels willen, hatte er mit ihr vor? Aus welchem Grund interessierte er sich für sie und ihre Geschichte?
Als sie merkte, dass er auf eine Reaktion wartete, reckte sie trotzig das Kinn vor: »Ich fürchte, ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.«
»Doch.« Ganz schlicht. Ganz sicher. »Haben Sie.«
Seine Souveränität brachte sie gehörig ins Schleudern. Sie überlegte fieberhaft, wie sie sich jetzt am besten verhielt. Eigentlich müsste sie ihn nach der Bemerkung über Manuel achtkantig rauswerfen.
Eigentlich …
Ihre Finger spielten mit der Visitenkarte, die er ihr gegeben hatte. Nachdem Kubilay so wenig Bereitschaft gezeigt hatte, sie auf ihrem Weg über die nächste, die letzte Hürde zu unterstützen, schien ihr das Angebot des Fremden mehr als verlockend. Und wenn sie ehrlich war, dachte sie in Bezug auf Manuel mittlerweile ganz ähnlich wie er. Sie blickte an seiner Schulter vorbei zum Fahrstuhl. Ja, dachte sie, ich finde auch, dass Manuel ein Risiko ist. Jemand, der zu viel weiß und sich viel zu viel darauf einbildet.
Sie wandte den Kopf und sah ihrem Gegenüber direkt in die Augen. »Ich denke darüber nach, okay?«
»Natürlich.« Seine Miene war noch genauso freundlich wie zuvor. »Tun Sie das. Und falls Sie Gesprächsbedarf sehen, melden Sie sich einfach.«
»Mach ich.« Immerhin sprang er nicht sofort ab, weil sie zögerte. Etwas, das Sarah aus einem unerfindlichen Grund mit einem Gefühl tiefer Erleichterung erfüllte. »Und danke für das Angebot.«
Er streckte ihr seine warme, erstaunlich kräftige Hand entgegen. »Keine Ursache«, sagte er. Dann ging er in Richtung Treppenhaus davon.
Sarah blickte ihm nachdenklich hinterher.
9
Das Institut für Rechtsmedizin der Johann-Wolfgang-von-Goethe-Universität war in einer hübschen Jugendstilvilla am Rande des Klinikums in der Kennedyallee untergebracht. Das Gebäude erinnerte Zhou entfernt an das Domizil ihrer Eltern, und als sie Capelli durch die hohen Flure in einen der weiß gekachelten Sektionssäle folgte, überlegte sie, ob ihr Vater auch nur die leiseste Vorstellung von diesem Teil ihrer Arbeit hatte. Und was er empfinden würde, wenn er sie jetzt sehen könnte.
Seit sie denken konnte, schlüpfte Ya Dao frühmorgens in einen Anzug und verschwand in einem klimatisierten Büro. Er trieb keinen Sport und beurteilte Nachrichten einzig und allein unter dem Aspekt, welche Auswirkungen sie auf die Finanzmärkte oder die allgemeine Wirtschaftslage haben könnten. Und doch war Zhou insgeheim überzeugt, dass ihr Vater längst nicht so eindimensional fühlte und dachte, wie es auf den ersten Blick den Anschein hatte.
»Na, Sie geben uns ja ganz schön was zu tun!«, begrüßte sie Dr. Bechstein, die einen babyblauen Rollkragenpullover unter ihrem Kittel trug.
»Glauben Sie mir, wir hätten’s auch gern ’ne Nummer kleiner«, lachte Capelli, deren südländischem Teint das harte Neonlicht kaum etwas anhaben konnte.
Das warme Grüngelb in ihren Augen blitzte auf und Zhou fühlte einen Anflug von Neid in sich aufsteigen. Neid auf die reizvollen Kontraste, die dem Gesicht ihrer Partnerin eine ausgesprochen charaktervolle Note verliehen. Sie selbst hingegen hatte schon immer gefunden, dass sie trotz ihrer schwarzen Haare und Augen eher farblos wirkte. Ein Gefühl, das sich durch Capellis überbordendes Temperament noch verstärkte.
»Okay, fangen wir mit der Frau an.« Dr. Bechstein zog das dunkelgrüne Tuch zur Seite, das Lina Wöllner bis dahin verhüllt hatte, und obwohl die Leiche im Gegensatz zu Jenny Dickinsonschon über eine Woche alt war, als man sie gefunden hatte, war Zhou der Anblick hier weit angenehmer. Der Körper war bereits gewaschen, seziert und anschließend wieder ordentlich zusammengenäht. Das ersparte ihnen zumindest etwaige unangenehme Überraschungen.
»Dreißig Jahre, zweifache Mutter, guter Allgemeinzustand«, ratterte Dr. Bechstein die nackten Fakten zu der toten jungen Frau auf ihrem Sektionstisch herunter. »Wie Sie sehen, war dem allerdings nicht immer so.« Sie
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