Siebenschön
Freundlichkeit zu, was sie nur noch mehr gegen ihn aufbrachte. »Viele Serienmörder, denen es um Beachtung geht, wenden sich gleich zu Beginnan die Presse. Denken Sie zum Beispiel an den berüchtigten Zodiac-Killer. Oder den BTK-Mörder in Kansas. Beide haben mit nimmermüdem Eifer Briefe an Zeitungen und Radiosender geschickt und sich auf diese Weise jede Menge Aufmerksamkeit gesichert.«
Em sah wieder nach der spinnenbeinigen Schrift an der Wand. »Vielleicht hat er befürchtet, dass man ihn bei der Presse nicht ernst nimmt.«
»Spätestens nach der ersten Leiche hätte man das«, widersprach Koss. »Und deshalb würde ich, genau wie Frau Zhou, annehmen, dass der Täter ganz bewusst nicht mit uns oder mit den Medien kommuniziert, sondern stattdessen lieber Kontakt zu Dritten aufnimmt.«
Zhous undurchdringliche schwarze Augen streiften sein Gesicht. »Wäre es denkbar, dass das Einbinden von Unbeteiligten für ihn mit zum Ritual gehört?«
Koss nickte. »Das wäre durchaus eine Möglichkeit.«
»Sofern Theo Dorn und Christina Höffgen überhaupt Unbeteiligte sind«, merkte Em mit unüberhörbarer Skepsis an.
Ihr gegenüber begann Makarovs Handy zu klingeln.
»Sie haben gesagt, dass es dem Täter um Schuld geht«, wandte Em sich wieder an Koss.
»Ja, dafür spricht meiner Ansicht nach einiges.«
»Was?«
Seine Miene wurde nachdenklich. »Der Hinweis darauf, dass Alois Berneck sich nicht immer an die Gesetze gehalten hat zum Beispiel …«
Em beobachtete Makarov, der leise in sein Handy sprach, ihr Gespräch mit Koss aber trotzdem aufmerksam verfolgte. »Denken Sie, er wusste auch, dass Lina Wöllner sich früher prostituiert hat?«
»Davon gehe ich aus.«
»Woher?« Em lehnte sich zurück. »Ich meine, das wird sie doch wohl kaum freiwillig erzählt haben, oder?«
»Nein«, antwortete Koss. »Bestimmt nicht.«
»Und woher wusste dann unser Täter davon?«
Makarov, der sein Gespräch unterdessen beendet hatte, stemmte sich vom Stuhl hoch. »Das ist einer der Punkte, die Sie unbedingt so schnell wie möglich klären sollten«, schnaubte er, indem er das Mobiltelefon in die Brusttasche seines Jacketts zurückschob.
Ach nee, dachte Em. Da wäre ich jetzt nicht draufgekommen! Laut sagte sie: »Die Opfer haben also Dreck am Stecken.«
Koss hob abwehrend die Hände. »Wir sprechen hier von dem, was der Täter denkt. Nicht von objektiven Gegebenheiten.«
»Und glauben Sie, dass die Empfänger der Briefe nach Meinung des Täters ebenfalls Dreck am Stecken haben?«, fragte Em unbeirrt.
»Nein«, sagte Koss. »Das glaube ich eher nicht.«
Makarov, der schon halb aus der Tür war, drehte den Kopf. »Wieso nicht?«
»Weil er Theo Dorn und Christina Höffgen deutlich mehr Respekt entgegenbringt als seinen Opfern.«
Makarovs weiche Züge nahmen einen amüsierten Ausdruck an. »Das schließen Sie aus der Tatsache, dass er ihre Namen großschreibt?«
»Nicht nur.«
»Sondern?«
»Der Mann, den Sie suchen, ist mindestens zweimal im Haus der Höffgens gewesen«, entgegnete der Psychologe, ohne mit der Wimper zu zucken, und Em dachte, dass er und Mai Zhou sich gar nicht so unähnlich waren. »Somit wäre es für ihn ein Leichtes gewesen, Christina Höffgen etwas anzutun, wenn er ihr etwas hätte antun wollen.«
Makarovs Miene wurde finster. »Es muss so etwas wie einen roten Faden geben«, knurrte er unwillig. »Etwas, das die Opfer mit den Empfängern der Briefe verbindet.«
Koss sah ihn an. »Da stimme ich Ihnen uneingeschränkt zu.«
»Christina Höffgen gibt an, weder die Opfer noch Theo Dorn je getroffen zu haben«, bemerkte Em nüchtern.
»Was diese Frau sagt, interessiert mich nicht«, fuhr Makarov auf. »Finden Sie das Bindeglied! Sonst haben wir schneller als uns lieb ist die nächste Leiche auf dem Tisch, und Gott allein weiß, was dieser Dreckskerl dieses Mal anstellt …«
4
»Sag mal …«
»Was?«
»Stimmt es, dass Chinesen grundsätzlich das Gegenteil von dem meinen, was sie sagen?«
Em kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Wieso?«
Anstelle einer Antwort schob Decker die Hände in seine Taschen und setzte sich auf ihren Schreibtisch. »Du und Zhou … Ihr arbeitet doch nun schon ein paar Tage zusammen …«
»Und?«
»Na ja, was ich meine, ist, dass du sie vermutlich schon ein bisschen besser einschätzen kannst als wir anderen hier.«
»Nein«, gab Em knallhart zurück. »Kann ich nicht.«
»Aber deine Menschenkenntnis …«
»Meine Menschenkenntnis«, unterbrach sie ihn,
Weitere Kostenlose Bücher