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Siebzehn Silben Ewigkeit - Roman

Siebzehn Silben Ewigkeit - Roman

Titel: Siebzehn Silben Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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zyklische Wesen des Universums, den ewigen Neubeginn, die immerwährende Rückkehr zum Anfangspunkt; in dieser Hinsicht ähnelte es dem griechischen Uroboros-Symbol, der Schlange, die sich in den Schwanz biss.
    Enso
, ein reiches, vielfältiges Symbol und ein Titel, der seine ganze Bedeutung entfaltete, wenn man zur letzten Seite von Grandprés Manuskript gelangte, auf der sich dasselbe Haiku wie am Anfang befand:
     
    So wie das Wasser
    den Felsen umspült
    verläuft die Zeit in Schleifen
     
    Diese Wiederholung konnte kein Zufall sein. Grandpré hatte seine Gedichtsammlung ganz bewusst so angelegt: Er hatte sie schleifenförmig konzipiert. Diese Rückkehr zum Anfangsgedicht, die selbst eine Schleife beschrieb, war
Enso
, der Zen-Kreis, der ewige Neubeginn des Buches.
    Versonnen legte Bilodo das Manuskript beiseite. Er bedauerte, dass es nicht veröffentlicht wurde. Das Werk enthielt Grandprés beste Gedichte, seine vollkommensten, und sie waren zu Unrecht abgelehnt worden: Die Typen vom Verlag sahen offenbar den Wald vor lauter Bäumen nicht. Aber schließlich gab es noch andere Verleger. Bilodo sah erneut im Internet nach und stellte eine Liste der wichtigsten Verlage für Poesie in Québec zusammen: Er würde das Manuskript anderen Häusern anbieten. Irgendjemand würde sich irgendwo schließlich doch als verständig erweisen.
    Er würde dafür sorgen, dass die Gedichte veröffentlicht wurden. Das empfand er als seine Pflicht dem Toten gegenüber. War das nicht das Mindeste, das er tun konnte, im Gedenken an den Pionier Grandpré, der ihm den Weg zu Ségolène gebahnt hatte?

14
    Am Boden des Kahns   –
    ein japsender Kofferfisch
    ertrinkt an der Luft
     
    Ein Frosch zu sein und
    über die Haut zu atmen
    die bessere Welt
     
    Regentropfen auf dem Blatt
    für Marienkäfer
    die Katastrophe
     
    Der treue Meister
    bückt sich und sammelt
    Wer aber hält die Leine?
     
    Désirade-Fluten
    so klar und leuchtend
    wie ein Tanka von Bashō

    Bilodo war inzwischen mit Bashō, jenem berühmten Haiku-Dichter aus dem 17.   Jahrhundert, ein wenig vertraut, aber was war doch gleich ein
Tanka
? Der Begriff war ihm nicht fremd. Er erinnerte sich daran, im vergangenen Herbst bei seinen literarischen Recherchen auf ihn gestoßen zu sein.
    Es fiel ihm nicht schwer, den Begriff in Grandprés Büchern aufzuspüren. Das Tanka war die älteste, erhabenste klassische japanische Gedichtform, die ausschließlich am kaiserlichen Hof praktiziert wurde. Es war der Vorläufer des Haiku, die altehrwürdige Urform, aus der jenes hervorgegangen war. Es handelte sich um ein umfangreicheres Gedicht, das anstatt aus drei Versen aus fünfen sowie aus zwei Teilen bestand: Der erste, ein Terzett aus siebzehn Silben, war nichts anderes als das wohlbekannte Haiku, dem gleichsam als Antwort ein aus zwei siebensilbigenVersen bestehendes Distichon hinzugefügt wurde, das jenem eine neue Richtung gab. Bilodo erfuhr, dass jede Gedichtform ihre ganz eigene Bestimmung besaß: Im Gegensatz zum Haiku, jenem an die Sinne gerichteten kurzen Gedicht, das der Beobachtung der Natur galt, gab sich das Tanka lyrisch, exquisit, verfeinert; es behandelte erhabene Themen und Gefühle wie Liebe, Einsamkeit, Tod und widmete sich dem Ausdruck komplexer Gefühle.
    Bilodo erschauerte. Wie sollte man Ségolènes Anspielung auf das Tanka auslegen? Handelte es sich um eine versteckte Nachricht, eine Aufforderung?
    Eine Form, die vor allem Gefühlen Ausdruck verlieh. War das nicht genau das, was Bilodo vorschwebte? Hatte er sich nicht durch die Beschränkungen des Haiku eingeengt gefühlt? Hatte er nicht, ehrlich gesagt, genug davon, auf das Wetter, kleine Vögel und Wäscheleinen anzuspielen? War es nicht an der Zeit, Größeres und Schöneres anzustreben, die Nähte des zu engen Kleidungsstücks zu sprengen? Hatte er nicht das Bedürfnis, weiter zu gehen, endlich sein Herz zu öffnen?
    Bilodo zog seinen Kimono über und begann zu schreiben, denn er konnte es kaum erwarten, diese ganz neue Form zu erproben, und wunderte sich, wie leicht sie sich zähmen ließ. Die Verse kamen wie von selbst, fielen ihm wie eine reife Frucht in die Hände:
     
    Bisweilen brauchen Blumen
    sieben Jahre bis sie blüh’n
    Schon seit langer Zeit
    will ich Ihnen gestehen
    wie innig ich Sie liebe
     
    Stolz auf dieses erste Tanka, beeilte sich Bilodo in seiner Begeisterung, es abzuschicken. Erst später, als sich sein Adrenalinspiegel wieder normalisiert hatte und er sich alles noch einmal durch den

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