Sieg der Herzen
gerührt, als er an diesem ersten Morgen sah, dass Miss Olivia bereits aufgestanden war, obwohl es gerade erst dämmerte. Sie trug ein schlichtes Kleid, und ihr Haar war zu einem dicken Zopf im Nacken zusammengebunden. Der Kaffee kochte bereits, und eine Scheibe gepökelten Schweinefleischs brutzelte schon in einer Pfanne, zusammen mit Scheiben der Salzkartoffeln, die vom gestrigen Abend übrig geblieben waren. Er sah auch Frühstückseier; offenbar hatten die Hühner eine friedliche Nacht verbracht.
Es wurde ihm warm ums Herz, als er Olivia betrachtete. Sie hätte 16 sein können, so zart sah sie im Schein der Laternen aus, und sie war mehr als hübsch, sie war schön. Er spürte das äußerst unkluge Verlangen, ihren Zopf sanft zur Seite zu schieben und ihr einen Kuss auf den Nacken zu geben.
»Morgen«, sagte er stattdessen.
»Guten Morgen, Mr McLaughlin«, erwiderte sie, ganz Geschäftsfrau. Sie füllte einen Teller mit Essen und trug ihn zum Tisch. »Ich werde Ihren Kaffee holen.«
Er nickte. »Sie sind früh auf«, bemerkte er und ärgerte sich gleich darauf über diese dümmliche Bemerkung. Es war nicht zu übersehen, dass sie auf war, und jeder Idiot wusste, dass es früh war.
Sie warf ihm einen Blick über die Schulter zu. »Ja«, sagte sie mit ein wenig gerunzelter Stirn. »Das bin ich.«
»Ich weiß, dass unser Handel Frühstück einschließt«, sagte er, setzte sich an den Tisch, zog den Teller heran und nahm seine Gabel, »aber ich hätte es mir selbst machen können. Es ist nicht nötig, dass Sie« - er blickte kurz auf die Eier - »mit den Hühnern aufstehen.«
»Unsinn«, entgegnete sie, holte die Kaffeekanne, kehrte zurück und blieb neben ihm stehen, um seine Tasse bis zum Rand zu füllen. »Abmachung ist Abmachung.«
Sie nickte zum Abtropfbrett neben dem metallenen Spülbecken, wo ein Topf wartete. »Dort ist ihr Mittagessen«, sagte sie.
»Wir haben nicht...«
Sie blickte ihn fröhlich-erbost an. »Es sind nur Reste vom gestrigen Abend«, erklärte sie. »Es hat doch keinen Sinn, Essen zu vergeuden.«
Er legte seine Gabel hin. Er hatte wenig ehrenhafte Dinge in seinem Leben getan, sich jedoch trotz allem immer noch ein wenig Stolz bewahrt. »Ich nehme keine Almosen an, Miss Olivia«, sagte er. Und er meinte es so ernst wie alles, das er jemals zuvor ernst gemeint hatte.
»Und ich verteile keine«, erwiderte sie. »Wenn Sie dickköpfig sein wollen, gehe ich mit dem Topf zur Springwater Station und schütte den Inhalt in den Schweinestall der McCaffreys. Das wäre jedoch eine Verschwendung.« Sie zuckte die Achseln. »Es liegt an Ihnen. Ich werde deswegen nicht streiten.«
Er aß weiter, weil ein langer Tag vor ihm lag und er wusste, dass er am Mittag halb krank vor Hunger sein würde, wenn er nichts im Magen hätte. Er warf einen misstrauischen Blick zum Topf mit dem Mittagessen. »Nur Reste?«, fragte er. Sie hatten am gestrigen Abend ein gutes Essen gehabt - irgendeine Art Eintopf mit Hühnerfleisch.
Es wäre eine Schande, so etwas Gutes an die Schweine zu verfüttern.
»Nur Reste«, bestätigte sie.
»Also gut«, grollte er und duckte sich unwillkürlich, denn plötzlich konnte er ihrem Blick nicht mehr standhalten. »Sind Sie mit den McCaffreys befreundet?«, wagte er nach ein paar Minuten Schweigen zu fragen.
Sie setzte sich zu ihm an den Tisch, nur eine Tasse Kaffee vor sich. Jack hoffte, nicht alles aufgegessen zu haben, was es zum Frühstück gab, sodass sie womöglich hungrig war.
»Wir sind miteinander bekannt«, sagte sie. »Warum fragen Sie?«
»Ich hörte, es sind gute Leute, das ist alles.«
»Das sind sie«, stimmte sie sofort zu. »Sie waren nach dem Unfall sehr freundlich zu mir...«
Er spürte ein flaues Gefühl im Magen, als er sich Olivia in irgendeiner Gefahr vorstellte. Er wollte diese Frau vor allem beschützen, was ihr Schaden zufügen konnte, jetzt und in der Zukunft, so verrückt es auch sein mochte. »Welcher Unfall?«
Sie seufzte und blickte wie entrückt vor sich hin. »Ich war auf dem Weg nach Choteau, reiste mit der Eisenbahn und wollte hier in Springwater in die Kutsche umsteigen. Doch irgendetwas ging schief.« Sie legte eine Pause ein und biss sich auf die Unterlippe. Ihre Augen blickten jetzt nicht mehr wie in weite Ferne, sondern spiegelten die Schatten der Erinnerung an schlimme Ereignisse wider. Er hatte den gleichen Ausdruck in den Äugen vieler Soldaten gesehen - die Erinnerung an zu viele Schlachten, zu viel Leiden und den Tod. »Der
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