Sieg der Herzen
»Gütiger Himmel! Es ist ja nicht so, als hätten wir auf sie geschossen oder sie beschimpft.«
Sallys Augen, braun wie ihr Haar, glänzten in stiller Überzeugung. »Vielleicht nimmt sie an, du würdest sie nicht mögen, wenn du sie wirklich kennen lernen würdest.«
Sue Bellweather holte scharf Luft. »Du meinst, sie hat vielleicht eine Vergangenheit?«
Evangeline tat die Frage mit einer ungeduldigen Handbewegung ab. »Um Gottes willen, Sue, wir alle haben eine Vergangenheit.«
»Amen«, bemerkte Savannah und hob ihre Teetasse. Obwohl sie nicht lächelte, funkelten ihre Augen vergnügt.
»Das meinte ich nicht«, sagte Sally. Für sie war dies eine Ansprache; vermutlich hatte sie in den zweieinhalb Monaten, seit sie in Springwater war, nicht so viel geredet. Ihre Wangen waren gerötet, und ihre Stimme zitterte leicht. »Für einige Leute ist es nicht leicht, neu in einen fremden Ort zu kommen, Leute kennen zu lernen, sich einzufügen. Besonders nicht, wenn man schon einmal verschmäht worden ist. Miss Olivia versucht einfach, nicht gekränkt zu werden.«
Nach diesem einfühlsamen Kommentar setzte nachdenkliche Stille ein, doch sie währte nicht lange. Das war nie der Fall, wenn die Frauen von Springwater zusammenkamen.
Rachel ging zu Sally und legte einen Arm um ihre schmalen Schultern. »Wir würden niemals unfreundlich sein«, sagte sie warmherzig. Jeder wusste, dass sich Rachels Worte zwar auf Olivia bezogen hatten, für Sally aber ebenfalls eine Beruhigung sein sollten.
Sallys Augen glänzten wie im Fieber, und sie nickte und schluckte. »Ihr wart gut zu mir und meinen Lieben. Das muss ich sagen. Aber als wir herkamen, erledigt und ohne Geld und Essen, hatte ich ungefähr so viel Angst vor euch, wie man nur haben kann. Ich weiß nicht, was wir getan hätten, wenn ihr uns abgewiesen hättet.«
Abermals schwiegen die Frauen, doch die Kinder machten das mit wett.
»Was wir brauchen«, sagte June, und ihre Miene hellte sich auf, »ist ein Plan für unsere Weihnachtsfeier drüben in der Kirche. Es ist ohnehin an der Zeit, dass wir eine organisieren. Wir könnten Miss Olivia bitten, die gesamten Vorbereitungen zu leiten.«
»Ist sie musikalisch?«, erkundigte sich Evangeline und schaute in die Runde.
Es war Savannah, die nickte. »Ich hörte sie zu allen möglichen Stunden am Tag und des Abends Klavier spielen, als würde ihr Herz brechen. Ich glaube, so verarbeitet sie ihre Gefühle.«
Fast jeder im Raum verstand, warum Olivia solch ein Ventil brauchte. Selbst mit Freunden und Ehemännern und Babys konnte es hier im Westen, an der Siedlungsgrenze, einsam und freudlos sein, besonders für Frauen. Sie alle hatten manchmal Heimweh, sehnten sich nach lieben Freunden, nach den Müttern und Vätern, nach Schwestern und Brüdern, die sie vielleicht nie wiedersehen würden. Wie musste es für eine alte Jungfer sein, die keinen Ehemann hatte und auch keine Kinder, die ihr Herz erwärmten?
»Armes Ding«, murmelte June.
»June hat Recht«, meinte Jessica. »Wir sollten eine Feier arrangieren. Wir haben doch eine schöne Kirche mit einer Orgel.« Sie legte eine Pause ein und schaute mit erhobenen Augenbrauen in die Runde. »Heiligabend wäre ein guter Zeitpunkt. Dann haben die Kinder den ganzen November und mehr als drei Wochen im Dezember zum Üben.«
Dorothy, die Lehrerin, seufzte tief. Offensichtlich hatte sie Angst davor, dass Olivia ihre Bitte abschlagen würde und somit die ganze Bürde der Arbeiten auf ihren Schultern lasten würde. Schließlich hatte keine von ihnen irgendwelchen Grund zu der Annahme, dass Olivia dem Plan zustimmen würde. Bis jetzt hatte sie jede Einladung abgelehnt, mit Ausnahme des Teetrinkens bei Savannah nach ihrem Besuch bei der Stadtratsversammlung, und da war sie womöglich nicht ganz sie selbst gewesen.
»Nun«, sagte Miranda mit gerunzelter Stirn. »Sie besucht jeden Sonntag die Kirche, das steht fest.«
»Wer wird sie fragen?«, wollte Evangeline wissen, und jede im Raum heftete den Blick auf June. Sie war von allen am besten in Kontakt mit Olivia gekommen, als sie nach ihrer dramatischen Ankunft vor einem Jahr eine Zeit lang bei den McCaffreys gewohnt hatte.
»Ich werde es tun«, sagte June entschlossen.
Die Ankündigung wurde mit begeistertem Beifall begrüßt.
Olivia stand stocksteif am Fenster ihres Wohnzimmers und beobachtete, wie June McCaffrey über den verschneiten Gehsteig kam. Es war November geworden, und in der Nacht hatte sich ein weißer und glitzernder
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