Sieg der Herzen
sich einen Stuhl vom Tisch heran, drehte ihn herum und setzte sich rittlings darauf, die Arme locker auf die Rückenlehne gestützt. »Ich würde aber lieber zuschauen«, sagte er.
Olivia warf einen Seitenblick auf ihren Pensionsgast und wunderte sich über die Veränderung seines Verhaltens. Obwohl es keine lobenswerte Veränderung war, wusste sie nicht genau, ob sie sie missbilligte. Um diese beunruhigende Tatsache zu verbergen, zuckte sie die Achseln und machte sich an ihre Arbeit.
»Diese Frau«, begann er, und jetzt klang seine Stimme ernst, obwohl sie spürte, dass er sich bemühte, gleichmütig zu klingen, »war das June McCaffrey?«
Olivia schaute ihn an und nickte. »Sie wollte einen Blick auf Sie erhaschen, wissen Sie. Das war einer der Gründe, weshalb sie vorbeikam.«
Er grinste, doch die Fröhlichkeit erreichte nicht ganz seine Augen. »So?«, sagte er. »Tut mir leid, dass ich sie enttäuscht habe.«
Eine weitere Lüge, dachte Olivia und wunderte sich. »Ein anderes Mal«, erwiderte sie.
»Sie werden für das Krippenspiel Klavier spielen«, bemerkte er sanft und legte sein Kinn auf den Unterarm, während er sie beobachtete.
Olivia wandte sich zu ihm um und fixierte ihn mit fast zusammengekniffenen Augen. »Sie haben gelauscht!«
Er fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. Wieder einmal hatte Olivia das Verlangen, seinen Bart abzurasieren und diese unbändigen Haare zu stutzen. Sie hatte das Gefühl, es würde gleichbedeutend mit dem Enthüllen einer prächtigen Statue sein. »Eigentlich nicht. Ich bekam es nur auf dem oberen Treppenabsatz mit, das ist alles.« Er sali weder entschuldigend aus, noch klangen seine Worte so. Nur interessiert, und ... nun, traurig. »Dieser Junge - Toby. Ist das der Sohn der McCaffreys?«
Olivia runzelte verwirrt die Stirn, doch sie entspannte sich ein wenig. »June erzählte mir, dass sie und Jacob ihn vor ein paar Jahren bei sich aufnahmen, als sein Vater ihn verließ. Später adoptierten sie ihn.«
»Ich dachte mir, sie sind ein bisschen zu alt, um einen Sohn in diesem Alter zu haben«, sagte er.
Sie ging zur Speisekammer, um den Schinken aus der neumodischen Kühlbox zu holen, die Mr Calloway eingebaut hatte, als er das Haus errichtet hatte. »Es sind schon merkwürdigere Dinge passiert«, sagte sie, als sie zurückkehrte. »Mein Vater ist über fünfzig Jahre alt gewesen, als ich geboren wurde.«
Er betrachtete sie mit offener Anerkennung, was sie verlegen machte, obwohl es ihr durchaus gefiel. Er wirkte sonderbar perplex, sogar ein wenig erschüttert. »So, war er das? Und Ihre Mutter?«
»Sie war so um die Zwanzig. Er hatte Geld, als sie ihn heiratete.«
Er hob eine Augenbraue. »Das klingt zynisch«, bemerkte er trocken.
»Sie waren unglücklich«, sagte Olivia, und sie empfand Trauer bei der Erinnerung. Ihr Vater war meistens fort gewesen, hatte seinen Club in Boston oder vielleicht das Haus einer Mätresse dem Haus der Familie vorgezogen. Er war ein Verschwender gewesen, wie sich herausgestellt hatte, und er war ohne einen Penny gestorben - trotz des scheinbaren Reichtums. Die Fairness gebot, dass auch Mr McLaughlin ihre Fragen beantwortete, und so heftete sie den Blick auf ihn. »Und wie war das mit Ihrer Familie, Mr McLaughlin?«
Er schwieg lange, und sie glaubte, ihn im Schein der Lampe erblassen zu sehen, aber sie konnte dessen nicht sicher sein; das Licht war einfach zu schlecht. »Jack«, sagte er, und seine Stimme klang belegt. »Sagen Sie Jack.« Seine Worte weckten in Olivia wieder dieses sonderbar prickelnde Gefühl.
»Mr McLaughlin wird perfekt reichen.«
»Das wird es nicht«, erwiderte er ruhig. »Mein Name ist Jack.«
Sie war erfreut über seine Beharrlichkeit, doch das hätte sie ihm gegenüber nicht zugegeben. Sie konnte es sich ja kaum selbst eingestehen. »Also gut, dann - Jack. Woher stammen Sie? Wer waren Ihre Eltern?«
»Ich bin in Nebraska aufgewachsen«, sagte er.
Eine weitere Lüge. Nebraska passte nicht zu der weichen Modulation des Südstaatlers. »Ich hätte schwören können, Sie stammen aus Dixie«, sagte sie, nur um ihn wissen zu lassen, dass er sie nicht im Geringsten täuschen konnte. Nun, vielleicht doch ein wenig, aber nicht so sehr, dass er sich dafür beglückwünschen konnte.
Er seufzte und lächelte, und er sah plötzlich sehr müde aus. »Ich bin vielleicht ein-oder zweimal dort durchgekommen. Habe ein paar Worte des Kauderwelschs aufgeschnappt.«
»Und Ihre Familie?«
»Farmer. Farmer Nebraskas. Sie sind
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