Sieg der Herzen
bekleidet mit Hose und Hemd wie meistens am Abend. In seinen Augen war jedoch nichts von der alten Fröhlichkeit zu sehen. Er stand beim Spülbecken, die Arme verschränkt, und beobachtete Olivia, als sie mit der Zubereitung des Abendessens begann. Jamie plapperte munter über ihre Erlebnisse des Tages, so schnell wie ein Zug mit defekten Bremsen einen steilen Hang hinuntersaust. Olivia hörte nicht richtig hin, und sie spürte, dass Jack ebenfalls nicht bei der Sache war.
Jamie plapperte auch noch während des Abendessens und während ihres anschließenden Bades. Erst als sie in einem ihrer neuen Flanellnachthemden im Bett lag, verfiel sie in erschöpftes Schweigen. Sie lauschte der Gutenachtgeschichte, die Olivia erzählte, eine ihrer selbst erfundenen über eine verwunschene Prinzessin, die von einem Prinzen wachgeküsst wurde und schließlich ein glückliches Zuhause in einem feinen Schloss fand, und schlief dann zufrieden ein.
Jack wartete unten. Er war ins Wohnzimmer gegangen, stand dort am Kamin, in dem ein Feuer behagliche Wärme verbreitete, und starrte in den im Mondschein schimmernden Schnee hinaus.
»Sie denken wieder ans Wegreiten?«, sagte Olivia. Die Frage war nicht geplant, und sie sa h seine Antwort an seiner Haltung, die sich schlagartig straffte. Sein richtiger Name lag ihr auf der Zunge, doch sie vermied es, ihn auszusprechen.
Er drehte sich um und schaute ihr in die Augen - offen, das musste sie ihm lassen aber schließlich zuckte er nur stumm mit den Schultern.
Olivia lehnte sich mit einer Hand gegen den Türpfosten. Sie würde nicht betteln oder diskutieren, das hatte sie sich längst vorgenommen. »Wohin würden Sie reiten, wenn - wenn Sie die Stadt verlassen?«
Abermals hoben sich kurz diese wunderbar breiten Schultern, die Olivia an die von Jacob McCaffrey erinnerten. »Ich weiß es nicht genau. Kalifornien, Mexiko - vielleicht Australien.«
Ein trostloses Gefühl erfasste Olivia. Ihr wurde schwindlig, und sie musste sich am Türpfosten festklammern, weil sie schwankte. »Ich verstehe«, sagte sie, und dann sprudelten die Worte trotz aller stolzen Vorsätze aus ihr heraus. »Sie werden Jacob und June einfach in dem Glauben lassen, Sie seien tot.«
Zu ihrer Überraschung schüttelte er den Kopf. »Nein«, erwiderte er gepresst. »Ich werde ihnen erzählen, was geschehen ist. Höchstwahrscheinlich, Miss Darling, wollen Sie nichts mehr mit mir zu tun haben, wenn Sie alles erfahren, und ich bin mir ziemlich sicher, dass Jacob und June mich ebenfalls nicht mehr sehen wollen.« Er hatte ihren Nachnamen fast zärtlich ausgesprochen, der verdammte Kerl! Versuchte er, sie zu quälen? Reichte es nicht, dass er die Macht hatte, ihr das Herz so zu brechen, dass sie nie all die winzigen Scherben finden, geschweige denn wieder zusammensetzen konnte?
»Wann?«, flüsterte sie. »Wenn - wenn Sie reiten, meine ich. Wann würde das sein?« Wann würde sich die Sonne verdunkeln, wann würde der Himmel einstürzen?
»Die Zeit, die ich Hargreaves versprochen hatte, ist um. Er hat mich gebeten, eine weitere Woche für ihn zu arbeiten - wir sind nah dran, auf eine neue Ader zu stoßen -, und ich habe zugesagt.« Er fischte mit zwei Fingern eine Münze aus seiner Hemdtasche. »Dies wird für meine Kost und das Zimmer reichen, oder?«
Es war ein 5-Dollar-Goldstück. »Ganz bestimmt«, brachte sie heraus. Ein ganzes Huhn hätte in ihrer Kehle stecken können, einschließlich Federn, Krallen und schlechter Stimmung, so schwer fiel es ihr, diese zwei einfachen Worte auszusprechen.
Er fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. »Sie waren gut zu mir, Miss Olivia. Auch gut für mich. Ich bin Ihnen dankbar.«
Bleib bei mir, dachte sie, doch ihre Kehle war immer noch wie zugestopft, und sie konnte nur nicken.
Vielleicht wäre es erträglicher gewesen, wenn er dann nicht zu ihr gegangen wäre, sie in die Arme genommen und fest an dieser muskulösen, von der Arbeit gestählten Brust gehalten hätte.
»Es tut mir leid, Liebste«, sagte er leise.
Niemand hatte jemals dieses Kosewort zu ihr gesagt, so weit sie auch zurückdenken konnte, weder ihre Mutter noch ihr Vater und erst recht nicht Tante Eloise. Sie schluchzte laut auf, denn Jack zu finden und wieder zu verlieren schien so viel schlimmer zu sein, als ihn niemals kennen gelernt zu haben.
»Pst«, sagte er und küsste sie aufs Haar.
Sie wandte ihr Gesicht von seiner Schulter ab und versuchte, mit dem Weinen aufzuhören, doch sie schaffte es nicht, so sehr sie
Weitere Kostenlose Bücher