Sieg der Herzen
meinem Hühnerstall stehlen wollte.« Sie legte eine Pause ein, um nicht schwatzhaft zu wirken. Dennoch war sie entschlossen, die Lage genau zu erklären. »Es hat den Anschein, dass das Kind völlig allein auf der Welt ist. Sie weiß nicht, wo ihre Mutter ist, und sie ist mit einem Mann namens Axel über Land gezogen, bevor sie zu uns - äh, mir - gekommen ist.«
Mr Calloway betrachtete sie lange schweigend und mit ausdrucksloser Miene, als wolle er eine entscheidende Pokerpartie wagen oder versuchen, die Gedanken eines Richters und der Jury zu erraten. Dann stützte er sein Kinn auf die Hand und fragte: »Und Sie möchten...?«
»Ich möchte Jamie adoptieren.«
Er schwieg wieder, und zwar so lange, dass Olivias Besorgnis wuchs. »Ich verstehe«, murmelte er schließlich.
»Mr Calloway?«, fragte sie, als sie lange nichts von ihm hörte.
»Ich habe natürlich nicht die Befugnis, die letzte Entscheidung zu fällen«, sagte er. »Dafür werden Sie einen Richter brauchen. Höchstwahrscheinlich werden Sie gebeten, ein Jahr lang zu warten, falls jemand sich meldet, der das kleine Mädchen für sich beansprucht. Und...« Er senkte wieder die Stimme und wirkte aufrichtig bestürzt, doch es war vielleicht auch nur der Trick eines Anwalts.
Olivia vergaß beinahe das Atmen. »Und?«
»Sie sind nicht verheiratet, Miss Darling.«
»Das weiß ich selbst, Mr Calloway«, erwiderte sie, doch es wurde ihr ein wenig schwindelig, als ihr die Konsequenzen klar wurden. »Ich würde als ledige Frau keine Erlaubnis bekommen, Jamie zu adoptieren. Ist es das, was Sie meinen?«
»Wenn Sie eine Blutsverwandte oder die Stiefmutter des Kindes wären, dann gäbe es vermutlich wenig oder keine Probleme. Aber ...«
»Und wenn ich verheiratet wäre?«
»Dann könnten Sie bei einem Richter in Choteau einen Antrag stellen und würden nach dem Ende der Wartezeit wahrscheinlich die Vormundschaft über das Kind erhalten.«
Sie öffnete ihre Handtasche. »Danke«, sagte sie. »Was schulde ich Ihnen für Ihre Zeit, Mr Calloway?«
Er hob eine Hand, als wolle er einen Eid leisten. »Nichts, Miss Darling. Schließlich war ich keine große Hilfe.«
Sie seufzte und erhob sich. Sie hatte noch vieles zu überlegen, und sie musste allein an einem ruhigen Ort sein, um sich richtig konzentrieren zu können. »Ganz im Gegenteil, Mr Calloway, ich bestehe darauf, dass Sie mir eine Rechnung schicken.«
Er lächelte und breitete in stummer Kapitulation die Arme aus.
Olivia trat auf die Straße hinaus, stemmte sich gegen den starken Wind und ging nach Hause.
11
E s war ermutigend für Olivia, wie sich die Bürger von Springwater zusammenschlössen, um bei der Vorbereitung für das Krippenspiel zu helfen, nachdem sie erst zugestimmt hatte, das Projekt in Angriff zu nehmen. Vielleicht hatten die Männer und Frauen und Kinder von Springwater nur auf ein Nicken von ihr gewartet. Jetzt verhielten sich alle, von Jacob und June McCaffrey bis zu den kleinsten Kindern, als wäre sie stets ein akzeptierter Teil all ihrer Unternehmungen gewesen.
Die Männer setzten sich zusammen, um eine schlichte, aber bemerkenswert authentische Kulisse zu bauen, eine Krippe hinter der Kanzel, und sie hämmerten und pfiffen leise vor sich hin, wenn sie nicht mit der Arbeit auf ihrer Ranch oder dergleichen beschäftigt waren. Selbst Trey Hargreaves und Gage Calloway in ihren modischen Anzügen und Mänteln halfen mit. Die Frauen nähten Kostüme, halfen bei den Gesangsübungen und lieferten Plätzchen und Erfrischungen für die kleinen, hungrigen Schauspieler.
Die Ausnahme in dieser harmonischen Gemeinschaft war natürlich »Jack McLaughlin«; er mied die Bürger so beharrlich wie zuvor, jedenfalls diejenigen, die über Tage wohnten und arbeiteten. Vom ersten Tageslicht an arbeitete er in der Mine, kam nach Hause, um zu baden und zu essen, und dann spielte er entweder mit Jamie Schach oder wankte ins Bett, je nachdem, wie anstrengend sein Tag gewesen war. Immer häufiger schrie er des Nachts, gepeinigt von Albträumen, immer weniger sprach er mit Olivia, wenn sie sich irgendwo im Haus begegneten. Sie nahm an, es habe damit zu tun, dass sie sein Geheimnis gelüftet hatte.
Die hektischen Vorbereitungen zur Aufführung des Krippenspiels hielten Olivia mit Sicherheit davon ab, in der Flut der Sorgen unterzugehen, die in ihrem Herzen aufstieg wie die unterirdische Quelle eines Flusses.
Eines Nachmittags Mitte Dezember, als eine besonders anstrengende Probe gerade beendet war und
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