Sieg der Liebe
ins Gesicht gesagt. Wenn Hamilton ihn nicht beleidigt hätte, wäre das nicht passiert. Bastard. Sein Leben lang hatte man ihn, Michel, so genannt, und er dachte, es würde ihn nicht mehr treffen. Aber weil die Erinnerung an Jerusas Kuß noch so frisch war, hatte er ihr die häßliche Wahrheit ersparen wollen, genauso, wie er das angenehme Gefühl, von ihr geachtet zu werden, noch ein wenig länger genossen hätte. Nur die Art, wie er die Sache angefangen hatte, war so völlig falsch gewesen, und jetzt war es zu spät, um zu erklären, warum.
„Ist das alles, was du verstanden hast?“ fragte Michel bitter. „Dann bist du nicht besser als Hamilton selbst. Aber was sollte ich auch anderes erwarten?“
„Du hast ihn gehört! Er hat zwei Söhne in Frankreich verloren! Wie sollte er anders empfinden?“
„Und was ist mit dem Leid der französischen Witwen und Waisen und der trauernden Eltern, die dein Vater zurückgelassen hat? Darauf scheinst du sehr stolz zu sein.“
Betroffen senkte sie den Kopf. Bisher hatte sie gehört, daß ihr Vater ein heldenhafter Kaperer gewesen war, und sie hatte es immer akzeptiert, ohne über die Folgen seiner Taten nachzudenken.
„Aber das ist etwas anderes“, erklärte sie schwach. „Es war -anders.“
„Anders, ma chere ? Weil sie Franzosen sind, leiden sie weniger?“
„Das habe ich nicht gemeint!“ Sie schüttelte den Kopf und wünschte, sie könnte es sich selbst ebenso erklären wie ihm. „Verstehst du denn nicht, daß Hamilton seinen Männern befohlen hätte, dich zu töten, wenn er gewußt hätte, daß du Franzose bist?“
Michel wendete sein Pferd und sah sie an. Das war es also. Er hatte ihr bei dem Brand das Leben gerettet, und nun dachte sie, daß sie mit dieser unüberlegten Handlung seines gerettet hatte. Er wollte ihr nicht sein Leben schulden. Überhaupt nichts wollte er ihr schulden.
„Warum hast du es nicht zugelassen, Jerusa? Weshalb hast du nicht die Gelegenheit ergriffen und den Ruhm deiner Familie gesteigert durch den Tod eines weiteren Franzosen?“
„Weil du es warst!“ rief sie aus. „Eben, weil du es warst, Michel!“
Einen Augenblick lang, der ihnen beiden wie eine Ewigkeit erschien, blickte Michel sie fassungslos an.
„Dann, ma chere“, sagte er schließlich leise, „hättest du es vielleicht zulassen sollen. In unser beider Interesse.“
10. KAPITEL
„Wir haben bei dem Brand fast alles verloren, Madam“, erklärte Michel der Wirtin des Gasthauses traurig. „Wir hatten zwar nicht viel bei uns, schließlich sind wir ja zu Pferde unterwegs, aber meine arme Frau hat nur noch die Kleider, die sie am Leib trägt.“
„Sie sind zu bedauern!“ sagte die Wirtin mitleidig und schnalzte mit der Zunge. „Gott sei es gedankt, daß er Sie an meine Türschwelle führte. Sie werden zwischen Providence und New Haven kein besseres Quartier finden, und das ist die Wahrheit. Wenn jemand dafür sorgen kann, daß Sie Ihre Mühsal vergessen, dann bin ich es, Catherine Cartwright, hier im Gasthaus zum Lamm.“
Catherine strahlte sie so herzlich an, daß Jerusa Gewissensbisse bekam. Die Frau hatte ein rundes Gesicht, wirkte sehr mütterlich und war offensichtlich so vertrauensselig, daß sie nicht einmal auf den Gedanken kam, ein Gentleman wie dieser feine Mr. Geary könnte ihr solch haarsträubende Lügengeschichten erzählen.
Aber das, was Michel sagte, waren nicht einmal richtige Lügen. Sie, Jerusa, hatte ja wirklich ihre ganze Kleidung verloren. Außerdem waren sie von einem Feuer überrascht worden. Die kleinen verbrannten Stellen auf ihrem Kleid stammten von umherfliegenden Funken. Lieber Himmel, war sie auch schon so sehr daran gewöhnt, die Wahrheit zu verdrehen wie Michel?
Jerusa, Jerusa, wo hast du nur deine Gedanken? ermahnte sie sich. Du solltest besser zuhören und auf eine Gelegenheit warten, ihm zu entkommen, als dich darum zu sorgen, wieviel von seiner verschlagenen, unehrlichen Art auf dich abgefärbt hat!
„So, Mrs. Geary, ich werde Ihnen Ihr Zimmer zeigen“, sagte Mrs. Cartwright und stieg schon die Treppe hinauf. „Es ist ein Glück für Sie, daß das Vorderzimmer leer ist, das ich immer für vornehme Leute wie Sie freihalte. Im Augenblick haben wir nicht viele Gäste, aber, liebe Güte, Sie sollten einmal die Menschenmassen während der Hauptsaison sehen!“
Jerusa, die nur mit einem Ohr zuhörte, folgte ihr. Doch gleich darauf bemerkte sie, daß Michel nicht mitkam, und blieb stehen. Sie drehte sich zu ihm um, zog
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