Sieg der Liebe
„Ich werde dafür sorgen, daß ein Schneider mit einer Auswahl von Kleidern bei dir vorspricht. Wenn du mich unbedingt überraschen willst, cherie, dann bitte auf diese Weise.“
Ehe sie ihm antworten konnte, rief der Kapitän Michel in seinem melodischen Dialekt etwas zu. Michel wandte sich dem Mann so eifrig zu, daß es Jerusa nur noch mehr verletzte.
„Entschuldige mich, ma mie“, bat Michel, als er das kleine Deck schon halb überquert hatte, „aber ich muß gehen und schauen, was der alte Schurke will, ehe er sich entschließt, uns in die Bay zu werfen.“
Aber mit einemmal vergaß sie die Kleider, den Schneider
und sogar Michel.
Es lagen etwa ein halbes Dutzend Hochseesegler im Hafen, aber eine Schaluppe, die westlich festgemacht hatte, zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Die Neigung des Mastes würde sie überall erkennen, und selbst, wenn das nicht der Fall wäre, war da noch der orangefarbene Tiger, der unter der Bugspitze der Schaluppe zu sehen war.
Himmel, Joshua war hier, hier in St. Pierre! Sie fühlte, wie Heimweh sie überkam, als sie sehnsüchtig auf den gemalten Tiger blickte und versuchte, vertraute Gesichter unter den kleinen Gestalten zu erkennen, die sich auf dem Deck der Schaluppe bewegten. Hunderte von Meilen von zu Hause fort, und hier war ihr Zwillingsbruder, so nahe, daß sie beinahe seinen Namen rufen konnte.
Aber das würde sie nicht tun. Sie warf einen raschen Blick über die Schulter zurück, wo Michel immer noch bei dem Fischer stand und mit ihm sprach. Er hatte ihr den Rücken zugewandt, und die Schaluppe lag auf der anderen Seite der Bucht. Michel hatte die Tiger nicht bemerkt, und sie hoffte, daß er es auch nicht tun würde, wenigstens jetzt noch nicht.
Denn wenn Joshua ihr hierher nach St. Pierre gefolgt war, würde auch Vater hier sein. Später, wenn Michel bei seiner Mutter war, mußte sie einen Weg finden, um Joshua eine Nachricht zu übermitteln. Ihr Vater konnte sehr jähzornig sein, und wenn er und Michels Vater einander während zweier Kriege über das Karibische Meer hinweg bekämpft hatten, würde er wahrscheinlich die Gelegenheit ergreifen, auch Michel entgegenzutreten.
Jerusa schauderte, wenn sie an die Konsequenzen für beide dachte. Joshua und sie mußten eine Möglichkeit finden, um den Kampf zu verhindern!
Der Kapitän des Fischerbootes wendete das Segel, und die Tiger wurde von einem größeren Schiff verdeckt. Alles, was Jerusa jetzt von ihr sehen konnte, war die scharlachrote Flagge, die vom Mast des Bramsegels flatterte. Die Hausflagge von Sparhawk und Söhne. Wie gebannt blickte sie auf den kleinen roten Fleck, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte.
Sparhawk und Söhne, dachte sie sehnsüchtig, Sparhawk und Söhne, und eine verzweifelte Tochter ...
Michel stand im Wohnzimmer seiner Mutter am Fenster und gab vor, hinunter in den Garten zu schauen, während er darauf wartete, daß sie zu ihm kam. Wie alle Häuser in St. Pierre hatte auch dieses keine Glasscheiben, die die Brise vom Meer fernhalten könnten, nur Läden, um den seltenen Regen, und eiserne Stangen, um Diebe am Eindringen zu hindern. Oder, im Falle seiner Mutter, um ihr das Hinausgehen zu verwehren.
Er seufzte und trommelte gedankenverloren mit den Fingern auf das Fenstersims. Ehe er hierhergekommen war, hatte er sich gewaschen, rasiert und wie der Gentleman gekleidet, für den sie ihn hielt. Aber sogar, als er ihre Schritte auf der Treppe hörte, hatte er noch nicht entschieden, was er ihr über Jerusa sagen wollte.
„Michel, mein Sohn!“ rief sie glücklich, während seine Mutter das Zimmer durchschritt, um ihn zu begrüßen. „Ich habe dich frühestens in einer Woche erwartet! “
Er beugte sich nieder, um sie auf beide Wangen zu küssen und schließlich ihre Hand an die Lippen zu ziehen mit jener Höflichkeit, die sie so liebte. „Du siehst sehr gut aus, Maman. Vielleicht sollte ich dich immer überraschen. “
Aber er war derjenige, der überrascht war. Es war erst zwei Monate her, seit er sich von ihr verabschiedet hatte, aber die Veränderung, die mit Antoinette vorgegangen war, war erstaunlich. Es lag nicht nur daran, daß sie diesmal so ordentlich gekleidet war wie jede andere Frau in St. Pierre und nicht die Negliges trug, die sie gewöhnlich bevorzugte. Sie war frisiert, ihre Strümpfe waren mit Strumpfbändern befestigt, sie trug Schuhe, keine Pantoffeln, und als sie auf ihn zukam, war von ihrem üblichen zögernden Gang nichts zu bemerken. Ihre Augen waren klar, ihre
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