Sieg der Liebe
haben.“
„Nein, Maman“, sagte Michel leise. Er hatte ihr niemals et-was verweigert, aber dies würde er niemals zulassen. „Das wird nicht geschehen.“
„Ach, und warum nicht? Sparhawk wird sie nicht zurückbekommen, und er wird sie auch nicht mehr wollen, wenn ich mit ihr fertig bin!“
Michel blickte sie befremdet an, wie gelähmt von ihrer Fröhlichkeit. Diese Richtung hatte ihr Wahnsinn jetzt also genommen. Mit erschreckender Deutlichkeit erinnerte er sich an die Schläge und Bestrafungen, die er als Kind ertragen hatte, das Leid, wenn er etwas falsch gemacht hatte, die vielen Tränen, die er in grenzenloser Einsamkeit vergossen hatte.
Wie hatte er nur jemals zustimmen können, daß Jerusa ein solches Schicksal ereilte? Warum hatte er bis jetzt nicht verstanden, was seine Mutter vorhatte?
„Hör mir zu, Maman“, sagte er eindringlich. „Was immer zwischen Sparhawk und mir auch geschehen wird, ich werde das Mädchen da heraushalten. “
Seine Mutter sah zur Decke und zuckte die Schultern. „So viel Sorge um das kleine Ding, Michel, so viel Sorge um etwas, das schon getan ist. Hast du vergessen, daß du selbst das Mädchen heute morgen zu mir geschickt hast?“
„Heute morgen?“ wiederholte er verwirrt. Heute morgen waren Jerusa und er noch auf dem Weg von jener anderen Insel hierher gewesen, und jetzt, an diesem Nachmittag, wußte er sie sicher im Gasthaus.
„Ja, ja, und sie hat ein großes Aufhebens deswegen gemacht. Sie kniete vor mir auf dem Teppich und erbat meine Verzeihung für die Sünden ihrer Familie.“ Sie legte ihren Zeigefinger an den Mund und knabberte zierlich an der Fingerspitze. „Es hätte dir gefallen, Michel. Sie ist ein schmächtiges kleines Ding, kaum der Mühe wert, wenn ihr Name nicht Sparhawk wäre.“ Also hatte sich seine Mutter doch nicht geändert, dachte er mit einer Mischung aus Erleichterung und Bedauern. Die Kleider, das Haar, die Augen, die so klar zu sein schienen, alles war bedeutungslos, verglichen mit der Krankheit, die ihren Körper und ihre Seele vergiftete. Er würde den Doktor bitten, gleich am Morgen zu kommen und darauf bestehen, daß seine Mutter ihn auch empfing.
„Sie ist hübsch, Michel, das schon, aber sehr eigensinnig“, fuhr Antoinette fort. „Obwohl ich dein Wort habe, daß du sie hierher gebracht hast, hat sie nach ihrem ersten Bekenntnis ihre Meinung geändert und alles abgestritten. Als wenn solche Lügen mein Mitleid erregen würden!“
Sanft nahm Michel die Hand seiner Mutter. Er hätte sie niemals so lange allein lassen dürfen. Er hatte sich immer so sehr bemüht, der Sohn zu sein, den sie sich wünschte, aber sogar jetzt, als er getan hatte, wonach es sie am meisten verlangte, hatte er versagt und sich in die Tochter seines Feindes verliebt.
„Sie wird dir zuhören, Maman“, bemerkte er sanft. Er wußte aus langer Erfahrung, daß es ihr besserging, wenn er ihren Phantasien nicht widersprach, sie würde nur noch mehr leiden, wenn er versuchte, sie von der Wahrheit zu überzeugen. „Wenn jemand sie zähmen kann, dann du. Aber du mußt dich jetzt ausruhen. Du sollst dich nicht überanstrengen wegen dieses Mädchens.“
„Du bist ein guter Sohn, Michel, deinem Vater so ähnlich.“ Antoinette hob seine Hand an ihre Wange und rieb ihr Gesicht wie eine Katze an seinen Fingern. „Und du wirst mich immer lieben, nicht wahr, Michel?“
Ehe er antworten konnte, wurde ihre Stimme leiser, und ihr Blick verschleierte sich. „Genau wie du, Christian“, flüsterte sie, „wird auch dein Sohn mich immer lieben.“
Jerusas Schritte hallten zwischen den Hauswänden in der schmalen Gasse wider. Sie ging rasch, ihre Schuhe klapperten auf dem Kopfsteinpflaster, denn sie wollte die Kais noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen. Sie hatte genug vom Hafengelände gesehen, als sie noch mit Michel zusammen war, um zu erkennen, daß er mit seinen Warnungen recht gehabt hatte. Sie hatte keine Lust, dort in der Dunkelheit allein unterwegs zu sein.
Aber sie mußte die Tiger und Joshua erreichen, ehe Michel zurückkam und sie vermißte. Ach, wenn nur diese entsetzliche Schneiderin und ihre eifrigen Helferinnen sie nicht so lange aufgehalten hätten!
Jerusa ging zu dem nächsten Gehsteig hinüber und sprang über den offenen Abflußkanal, der wie ein Bach in der Mitte jeder Straße in Martinique rann. Die Häuser, die mit ihren roten Dächern und blauen Läden vom Wasser aus so heiter ausgesehen hatten, wirkten jetzt finster und bedrückend.
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