Sieg des Herzens
mich.«
»Wie sagtest du noch gleich in der Kirche? Du wolltest mich lieben, ehren und mir gehorsam sein? Nun, ich verbiete dir, hierzubleiben!«
»Ich muß hier noch arbeiten, Julian. Aber du könntest doch bei Dr. Flowers bleiben...«
»Damit wir tagsüber Zusammenarbeiten, und man mich nachts in Ketten abführt? Oder hattest du vor, hier einen Haushalt einzurichten? Vielleicht in einem kleinen ausgebombten Bauernhaus am Rande der Stadt, wohin sich der Doktor und sein liebendes Eheweib jeden Abend zurückziehen können?«
»Julian, wir haben nun einmal Krieg...«
»Ja, das habe ich auch schon mitbekommen«, entgegnete er und sah sie einen Moment lang durchdringend an, bevor er fragte: »Also, bekommst du nun ein Kind oder nicht?«
Sie erstarrte und als sie ihm antwortete, verdeckten ihre langen Wimpern ihre immergrünen Augen. »Mir ist durchaus bewußt, Julian, daß ich nicht deinem Idealbild einer Ehefrau entspreche. Aber ich habe vorgestern morgen nur versucht, an deine Südstaatenehre zu appellieren, um dich zu retten - und da war mir jedes Mittel recht.«
»Ah, schade aber auch, daß du dabei selbst in die Falle gegangen bist, und das ganz umsonst.«
»Ich sitze nicht in der Falle...«
»Doch. Ich bin ein Gefangener, und du hast mich geheiratet - wenn auch gegen deinen Willen.«
»Julian, das ist ein ganz lächerlicher Streit. Du bist Arzt und rettest Leben, und wir arbeiten außerordentlich gut zusammen, und das hat überhaupt...«
»Doch.«
»Julian...«
»Ich behaupte nicht, daß ich hellsehen kann, aber ich sehe nichts Gutes darin, mit dir zusammenzuarbeiten. Wenn du also nichts dagegen hast, gehe ich jetzt.«
Und mit diesen Worten ließ er sie stehen - schon nicht mehr ganz so sicher, ob er vernünftig gehandelt hatte. Womöglich würde er sich später tausendmal dafür schelten, nicht jede noch so geringe Chance ergriffen zu haben, um mit ihr zusammenzusein. Aber, nein, er konnte nicht mit ihr arbeiten, jedenfalls nicht hier und unter diesen Bedingungen. So verließ er das Bauernhaus, und Rhiannon versuchte auch nicht mehr, ihn aufzuhalten.
Die folgenden beiden Tage verbrachte Julian damit, zusammen mit einigen Yankee-Soldaten die Schlachtfelder abzugehen und nach Überlebenden zu suchen. Am Anfang fanden sie noch relativ viele. Sie wurden von ihm vor Ort so gut wie möglich versorgt und dann ins Feldlazarett gebracht. Gegen Ende des zweiten Tages lagen auf dem sogenannten Feld der Ehre aber fast nur noch Tote. Während sie von Körper zu Körper gingen und schon gar nicht mehr überrascht waren, bei keinem mehr den Puls zu fühlen, entdeckte Julian die Männer mit den Kameras.
»Was machen die denn da?« fragte er Robert Roser, der ihm als Bewacher zugeteilt worden war. Roser war ein guter Mann, und Julian mochte ihn irgendwie. Außerdem war er mehr als ein Meter achtzig groß und so breitschultrig wie ein Bär.
»Oh, die da sind von Harpers. Sie wissen schon, das Zeitschriftenmagazin.«
Julian blieb stehen und beobachtete die Männer, die Aufnahmen von den Toten machten - meist von getöteten Rebellen.
»Doc«, hörte er da Roser hinter sich. »Das ist nun mal so, wenn eine Seite gesiegt hat. So viele erfolgreiche Schlachten hatten wir bisher auch nicht. Die Leute daheim wollen das sehen.«
Ja, die Zeitungen im Norden würden sich bestimmt darum reißen, Fotos von Gettysburg abzudrucken. Aber hielten sie es wirklich für angebracht, Frauen und Kindern diese schrecklichen Bilder vor Augen zu führen? Angewidert wandte sich Julian ab, hielt dann aber inne, als er hörte, wie der Fotograf zu seinem Assistenten sagte, er solle die Leichname anders arrangieren, damit es noch grotesker aussähe.
Als Julian sich wieder zu den beiden umdrehte, hatte der Assistent gerade damit begonnen, die toten Soldaten herumzuzerren.
»Man sollte sie davon abhalten«, sagte Julian, und einer der Männer, die ihm halfen, ein gewisser Jim Brandt aus Neuengland, spuckte verächtlich auf den schlammigen Boden, bevor er ihm entgegnete: »Ja, eigentlich schon, aber, zum Teufel, die kommen von Harpers. Man erwartet von uns, daß wir sie machen lassen.«
»Sie entehren die Toten!«
Plötzlich hörten sie ein Stöhnen.
»Verdammt, da lebt noch einer!« entfuhr es Julian. Dicht gefolgt von Roser, ging er mit großen Schritten dorthin, wo der Assistent mit den Leichen beschäftigt war. Der Fotograf, ein etwa dreißigjähriger Mann mit breiten Koteletten und einem schmierigen Grinsen, beachtete das Stöhnen
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