Sieh dich um: Thriller (German Edition)
Junge am Weihnachtsabend, der eben das glänzende neue Fahrrad unter dem Baum entdeckt hatte. Genau das, was er sich gewünscht und womit er nicht gerechnet hatte. Ein wunderbarer Augenblick, wenn es je einen gegeben hatte. Etwas, das man mit offenen Armen begrüßte. Und Michalovic hatte allen Grund zu lächeln. Wie die meisten ihrer Partien würde sich auch diese zweifellos als totaler Krieg erweisen. Als äußerst blutiger Krieg. Und weil er diesmal erneut gewinnen würde – zweimal hintereinander nach einer Reihe sehr schmerzhafter Niederlagen –, wusste er, dass die Chancen für Frieden etwa so gut standen wie die für einen Schneeball in der Hölle.
Michalovics strahlend weiße Überkronung blendete sein Gegenüber auf der anderen Seite des Tisches regelrecht. »Kopf«, verkündete der Russe zufrieden.
Mittlerweile war der leichte ausländische Akzent des über Sechzigjährigen fast völlig verschwunden – durch harte, unermüdliche Arbeit … und mehr als ein wenig Hilfe einer neunzehnjährigen Studentin der Columbia University mit einem Körper, der jeglicher Schwerkraft trotzte und in dessen Nähe er ohne seinen enormen Reichtum nie gekommen wäre. Wenn er sich nicht gerade mit ihr im Bett wälzte, betrachtete er sie liebevoll wie eine Tochter. Jedenfalls war seine früher zähe russische Aussprache inzwischen vollkommen flüssig, fast nicht mehr zu unterscheiden von der eines geborenen New Yorkers, was sich im Verlauf der Höhen und Tiefen dieser finalen Partie noch als bedeutsam erweisen sollte.
»Sieht so aus, als hätte ich diesmal wieder gewonnen, Edward«, fuhr Michalovic vergnügt fort. »Aber das ist kein Grund für Sie, den Mut zu verlieren, oder? Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn, so sagt man hier doch, richtig? Ich schwöre bei Gott, ihr habt die wunderbarsten Sprichwörter. Ich liebe sie alle.«
Edward J. O’Hara III erwiderte das Lächeln seines Gegenspielers. Er konnte das Leuchten beinah spüren , das von seinem eigenen Gesicht ausging. Strahlte er etwa? Es hätte ihn nicht im Mindesten überrascht. Konnte diese Geschichte überhaupt noch besser werden? Tage wie dieser waren es, wofür er lebte. Einmal mehr hatten die Hoffnungen und Träume, die eine neue Saison mit sich brachte, ein unverkennbares Federn in seine Schritte und ein freudiges Lächeln in sein rötliches Gesicht gezaubert.
»Sind es die Menschen, die Sie lieben, Sergej, oder ihre wundervollen Sprichwörter?«, wollte O’Hara wissen.
»Beides natürlich, Edward. Beides.«
»Natürlich.«
O’Hara lehnte sich auf seinem Sitz zurück, ließ den Blick nachdenklich über Michalovics fein geschnittene Züge wandern und musterte ihn eingehend. Dieses gewinnende Grinsen hatte den Russen bestimmt deutlich über hunderttausend Dollar gekostet, und die Investition schien sich gelohnt zu haben. Eine wirklich hervorragende Arbeit, die ausgesprochen natürlich wirkte.
O’Hara nahm sich vor, den Namen von Michalovics Zahnarzt in Erfahrung zu bringen, bevor sich die beiden für diesen Tag voneinander verabschiedeten. Die Veneers kosteten mit Sicherheit mehr als ein funkelnagelneues Fahrrad, aber die Qualität der Arbeit rechtfertigte die happige Ausgabe. Schließlich kosteten alle guten Dinge im Leben eine Menge Geld, richtig.
Richtig. Sogar die bösen Dinge im Leben kosteten eine Menge.
O’Hara richtete sich auf dem Sitz auf und spürte ein beinah erotisches Kribbeln auf der Haut. Die Dinge, die er und Michalovic kauften, waren in der Tat sehr, sehr böse – fast pervers böse. Doch sie konnten sich im Kontext ihrer speziellen Spielchen als vorteilhaft erweisen. Denn es waren die bösen Dinge, die ihnen die notwendigen Werkzeuge lieferten, um ihre jeweiligen Aufgaben zu erledigen, und zwar ungehindert von jeglichen Fesseln lästiger finanzieller Beschränkungen. Wenn man eingehender darüber nachdachte, brauchte man gar nicht lange zu philosophieren, um den vermeintlichen Widerspruch aufzulösen. Im Gegenteil, wenn man es sich ein wenig durch den Kopf gehen ließ, ergab es absolut Sinn.
O’Hara beugte sich auf seinem Stuhl vor und hob den Portwein an die Lippen, der pro Glas fünfhundert Dollar kostete. Er nahm behutsam einen Schluck, dann stellte er das handgeblasene Kristallstielglas zurück auf den mit weißem Leinen gedeckten Tisch, während er mit der Zunge den Geschmack des kostspieligen Weins auskostete. »Ach übrigens, Sergej – vergessen Sie nicht, dass Sie bis jetzt nur dem Namen nach der Sieger
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