Sieh dich um: Thriller (German Edition)
der sich ohne Weiteres niederstarren ließ, nicht einmal von einem Monster wie Michalovic. O’Haras Augen waren so klar, dass sie beinah transparent wirkten. So transparent, als befände sich keine Seele dahinter.
»Also wirklich«, fuhr er fort. »Sie wollen mir doch nicht allen Ernstes erzählen, dass Sie sich nicht gerade das Fenton-Exemplar des goldenen 1933er St. Gaudens Double Eagle in die Tasche gesteckt haben, oder?«
Michalovic schaute überrascht auf, dann lächelte er wieder. Dem scharfen Blick des Iren entging wirklich so gut wie nichts. Und genau das liebte er so an O’Hara. Der Mann hatte vollkommen recht mit seiner Bemerkung – wie anscheinend fast immer. Gut für ihn. O’Hara musste all seine Sinne beisammenhaben, wollte er auch nur den Hauch einer Chance haben, einen Gegner von Michalovics beachtlichen Fähigkeiten zu besiegen.
Was die Münze anging – sie hatte wie die beiden Männer am Tisch eine faszinierende Vergangenheit. Eine Vergangenheit, die niemals ausradiert werden konnte, ganz gleich, wie viel Geld dafür aufgewandt wurde. Der ursprüngliche Entwurf war 1907 von Präsident Theodore Roosevelt in Auftrag gegeben worden, aber Franklin D. Roosevelt hatte die Herausgabe 1933 gestoppt, als er während der Weltwirtschaftskrise den privaten Goldbesitz verbieten ließ. Die Münze, die nun in Michalovics Tasche steckte, war im Besitz des ägyptischen Königs Farouk gewesen und auf diese Weise den Beschlagnahmungsbemühungen des Secret Service entgangen – man hatte sie damals zum gestohlenen Eigentum erklärt, das rechtmäßig der Münzanstalt der Vereinigten Staaten gehörte.
Als König Farouk 1952 im Zuge eines blutigen Putschs, angezettelt durch den charismatischen Rebellenführer Anwar al-Sadat, abgesetzt wurde, war die Münze für kurze Zeit auf dem Markt aufgetaucht und dann wieder verschwunden. Vierzig Jahre später war der britische Münzhändler Fenton mit dem St. Gaudens Double Eagle im Finanzviertel von New York aufgekreuzt und hatte dort nach einem Käufer gesucht. Zu seinem Pech ging der Plan nicht auf. Stattdessen brachte der Secret Service die Münze nach langwieriger verdeckter Planung in seinen Besitz.
Von da an war die merkwürdige Reise der denkwürdigen Münze merkwürdiger und merkwürdiger geworden. Während zwischen Fenton und der Regierung der Vereinigten Staaten ein heftiger Rechtsstreit entbrannte, der sich über Jahre hinzog, lagerte das Exemplar, das sich nun in Michalovics Tasche befand, in den Tresoren des Schatzamts im World Trade Center. Zwei Monate vor dem Terroranschlag vom 11. September 2001 einigten sich die Vereinigten Staaten und Fenton schließlich darauf, die Münze zu versteigern und den erzielten Gewinn zu teilen, sodass sie dem Terroranschlag nicht zum Opfer fiel.
Einschließlich der fünfzehn Prozent Verkaufsgebühren und der zwanzig Dollar, die das US-Schatzamt immer noch zurückverlangte, weil die Münze vor so vielen Jahren gestohlen worden war, belief sich der Preis, den der St. Gaudens Double Eagle bei der Auktion erzielte, auf sagenhafte sieben Millionen fünfhundertneunzigtausend und zwanzig Dollar. Im Verlauf des hitzigen Bietergefechts, das sich über fast anderthalb Stunden hingezogen hatte, war der Käufer anonym geblieben. Er hatte einen Strohmann mit dem Bieten beauftragt, um seine Identität vor den neugierigen Augen der Öffentlichkeit geheim zu halten.
Offensichtlich war der mysteriöse anonyme Käufer nicht mehr ganz so anonym. Jedenfalls nicht für O’Hara. Tatsächlich saß er ihm gegenüber an dem stabilen Mahagonitisch.
Michalovic zwinkerte dem Mann zu, den er als seinen ersten echten Freund in seiner neuen Heimat betrachtete. »Welchen Sinn hätte es, Spielzeug zu kaufen, wenn man nicht damit spielt, Edward?«, sagte er, und sein Grinsen wurde breiter. »Das wissen Sie genauso gut wie ich. Darum geht es doch in diesem wunderbaren Land. Hedonismus. Luxus. Leben .«
»Und Sterben , Sergej, und Sterben«, erinnerte O’Hara den Russen freundlich. »Vergessen Sie das nie. Wie auch immer – lassen Sie mich doch einen Blick auf die Münze werfen, ja?«
Michalovic zögerte einen Moment, bevor er widerwillig in die Tasche griff und den St. Gaudens Double Eagle hervorholte. Er widerstand dem Drang, leise zu fluchen – in gewisser Weise war der Besitz der exotischen Münze nicht unähnlich einem neugeborenen Baby, mit dem man an einem wunderschönen Frühlingstag zum ersten Mal im Kinderwagen nach draußen in den
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