Sieh dich um: Thriller (German Edition)
Knabengrinsens hatten sich mit dem Alter gefüllt. Die unbändigen Locken seiner störrischen braunen Haare waren inzwischen gezähmt. Seine einst bleiche weiße Haut mit den unzähligen winzigen Muttermalen war im Verlauf der Jahre beträchtlich dunkler geworden. Und sein rundliches Gesicht von einst war hohen, fein geschnittenen Wangenknochen gewichen, die seine mittlerweile verhärtete Seele verbargen.
Völlig verdutzt schüttelte Jack den Kopf, als könnte er das surreale Bild einfach vertreiben, wenn er es nur lange genug täte. Er wollte nicht glauben, was er vor sich sah. Es war, gelinde gesagt, beunruhigend, sein eigenes Gesicht auf der Internetseite der größten und berühmtesten Zeitung der Welt vorzufinden, auch wenn Jack heute anders aussah.
Hoffentlich hatte die Polizei nicht herausgefunden, dass er an jenem Morgen in der Wohnung seiner Mutter gewesen war. Wenn sie es nämlich wusste und ihn irgendjemand auf dem Foto wiedererkannte – so unwahrscheinlich das auch scheinen mochte –, dann wäre die Jagd auf ihn in vollem Gange, und sie würden ihn schon bald aufgespürt haben.
Sofern sie nicht bereits unterwegs zu ihm waren.
Jack spannte die Kiefer an. Was, wenn sie ihn verdächtigten, seine Mutter ermordet zu haben? Wenn sie ihn sogar wegen Mordes vor Gericht stellten? Er schüttelte erneut den Kopf, diesmal noch entschiedener. Der Gedanke war zu erschreckend, um ihn weiter zu verfolgen.
Hastig überflog Jack den Artikel auf der Webseite, während sein Herzschlag in der dürren Brust immer verrückter spielte.
So viel schien festzustehen: Das FBI hielt ihn für vermisst. Kein gutes Zeichen, überhaupt kein gutes Zeichen. Denn wenn die Bundesermittler glaubten, er sei verschwunden, dann würden sie nach ihm suchen und nicht aufhören, bis sie ihn gefunden hätten. Das FBI galt schließlich nicht als bekannt dafür, schnell aufzugeben, wenn es meinte, einem Mörder dicht auf den Fersen zu sein.
Die Schlagzeile auf der ersten Seite schmerzte Jack geradezu in den Augen:
FBI VERÖFFENTLICHT FOTO IM SCHACHBRETT-MÖRDER-FALL!
Von Raymond C. Garcia, New York Times
Am Mittwoch gab das FBI ein Foto zur Veröffentlichung frei, das am Tatort des letzten Mordes des berüchtigten Schachbrett-Mörders gefunden wurde.
Nach Auskunft der Behörde hat der Schachbrett-Mörder Ende der vergangenen Woche die dreißig Jahre alte Stephanie Mann ermordet. Zwar wurden keine offiziellen Opferzahlen genannt, aber Stephanie Mann verkörpert das jüngste bestätigte Opfer, seit der berüchtigte Mörder im vergangenen Jahr mit seiner gut dokumentierten Verbrechensserie begann.
Die leitende Ermittlerin, Special Agent Dana Whitestone, und ihr Partner, Special Agent Jeremy Brown, arbeiten seit mittlerweile fünf Monaten an dem Fall – seit sie von FBI-Direktor Bill Krugman aus Cleveland herbeordert wurden, um die Zügel in die Hand zu nehmen. Die Ermittler wenden sich nun mit der Bitte an die Öffentlichkeit, bei der Identifizierung des Jungen auf dem Foto zu helfen.
»Es geht buchstäblich um Leben und Tod«, ließ Agent Whitestone am Mittwochnachmittag verlautbaren. »Wenn jemand auch nur glaubt, den Jungen zu kennen, bitte ich eindringlich darum, sich bei uns zu melden.«
Miss Whitestone weist darauf hin, dass das Bild sieben Jahre alt ist.
»Zum Zeitpunkt der Aufnahme war der Junge auf dem Bild etwa fünf bis sechs Jahre alt. Damit wäre er heute zwölf bis dreizehn. Bitte behalten Sie das im Hinterkopf, wenn Sie mit möglichen neuen Informationen anrufen.«
Miss Whitestone versichert, dass sämtliche Hinweise vertraulich behandelt werden.
»Das FBI und das NYPD arbeiten unermüdlich daran, diesen schon viel zu lange währenden Albtraum, der die gesamte Stadt heimsucht, für die Bevölkerung von New York City zu beenden. Jede Hilfe vonseiten der Öffentlichkeit ist willkommen.«
Wer Informationen über die Identität des Jungen auf dem Foto besitzt, wird gebeten, das FBI, das NYPD oder die Redaktion dieser Nachrichtenseite zu kontaktieren. Telefonnummern und E-Mail-Adressen sind nachstehend aufgeführt. Das FBI hat eine Belohnung von 100000 Dollar für Informationen ausgesetzt, die zur Verhaftung und Verurteilung des Schachbrett-Mörders führen.
Die Berichterstattung geht weiter. Besuchen Sie unsere Seite regelmäßig, um die neuesten Informationen zu erhalten.
Vollkommen in Gedanken versunken zuckte Jack beim Klang der schlaftrunkenen Stimme seiner kleinen Schwester hinter sich regelrecht zusammen.
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