Sieh dich um: Thriller (German Edition)
der Präsident hat mir schon wieder die Eier lang gezogen. Er hat mich dafür eigens von seinem persönlichen Mobiltelefon aus angerufen. Offensichtlich hat es ihm noch nicht gereicht, dass er mich heute Morgen bei der Lagebesprechung vor allen anderen zur Sau gemacht hat! Er wollte ganz sicherstellen, dass ich auch wirklich begreife, was für eine beschissene, unfähige Behörde ich seiner Meinung nach leite. Wie ist der Status Ihrer Ermittlungen im Fall des Schachbrett-Mörders, Whitestone? Fassen Sie sich kurz, und lassen Sie allen überflüssigen Mist weg, okay? Vom Mord an Stephanie Mann habe ich bereits gehört, darüber brauche ich keine zusätzlichen Details. Ich habe den Bericht gelesen, den das NYPD online gestellt hat, und ich habe die Tatortfotos in all ihrer Pracht gesehen. Ich kann’s kaum erwarten, bis der Präsident sie morgen früh sieht. Das gibt drüben im Westflügel bestimmt einen richtigen Höllentanz.«
Dana biss sich auf die Unterlippe und widerstand dem Drang, ihren Boss genauso anzubrüllen. Sie war ohnehin schon frustriert genug und brauchte nicht noch den Mist von Krugman obendrauf. Auf der anderen Seite war ihr klar, dass Widerworte gegen den Direktor an diesem entscheidenden Punkt des Falles wohl nicht die klügste Entscheidung für ihre Karriere wären. Schließlich hatte er jedes Recht der Welt, unzufrieden mit ihr und Brown zu sein. Sie rannten seit mittlerweile fünf Monaten ziel- und planlos durch New York City und wirbelten jede Menge Dreck auf, der jeden Morgen zweifellos bis nach Washington auf die Aufschläge seines frisch gebügelten Anzugs spritzte – das war alles. Es blieb die traurige Tatsache, dass sie und Brown nicht einen Schritt vorangekommen waren, nicht wirklich, jedenfalls nicht in letzter Zeit. Schlimmer noch, es starben nach wie vor Menschen auf grauenhafte Weise. Sosehr sie sich bemüht hatten, den Killer aufzuhalten – und sie hatten nichts unversucht gelassen –, so wenig war es ihnen gelungen, den Schachbrett-Mörder zu fassen. Sie waren ihm nicht einmal nahe gekommen. Ganz zu schweigen von der Presse, die jeden Tag ein wenig mehr auf sie einprügelte, insbesondere dieser Brandt von der New York Post . Mit ihren zunehmend sensationsheischenden Storys, die jeden Morgen den Weg auf die Titelseiten der großen Zeitungen fanden, nicht nur der Stadt, sondern der ganzen Welt, machten die Medien sie regelrecht fertig. So schwer Dana die Einsicht fiel – sie musste einräumen, dass sie und Brown in den letzten fünf Monaten, seit man ihnen diesen Albtraum von einem Fall zugewiesen hatte, nicht einen Schritt weitergekommen waren, was die Identität des Killers anging. Dana wusste zudem, wenn sie nicht extrem vorsichtig wäre, könnte es durchaus damit enden, dass sie in Zukunft an kalten Samstagmorgen Basketbälle in der Sporthalle der FBI-Akademie in Quantico austeilte. Schließlich hatte sie das schon bei mehreren Kollegen miterlebt, die in der Vergangenheit so unbesonnen gewesen waren, Krugman die Stirn zu bieten. Der Mann, der beim FBI nur »der Direktor« genannt wurde, gehörte nicht zu der Sorte, bei der man eine dicke Lippe riskierte. Also versuchte sie, ihn zu besänftigen, indem sie ihn rasch über ihre jüngste Entdeckung eines Fingerabdrucks auf dem Foto des Jungen und über Mariel Rodriguez’ Vermutung informierte, dass der Abdruck von einer Frau stammte. Dana konnte nur hoffen, dass dieses neue Beweisstück ausreichen würde, um Krugmans Nerven zu beruhigen.
Leider traf das Gegenteil zu. Statt sich von Danas hastigem Bericht auch nur im Geringsten beschwichtigen zu lassen, wirkte Krugman alles andere als zufrieden. »Von einer Frau ?«, fragte er ungläubig. »Woher will ein dahergelaufener Detective vom NYPD ohne einen Treffer in der INTERPOL-Datenbank so etwas wissen, Agent Whitestone? Ist Ihnen schon mal in den Sinn gekommen, dass der Abdruck vielleicht von einem kleineren Mann stammen könnte? Wissen Sie, es gibt uns in den verschiedensten Ausführungen. Herrgott noch mal, muss ich denn jetzt auch noch für Sie denken ?«
Dana schloss die Augen und kämpfte gegen den plötzlichen, überwältigenden Impuls an, das Telefon mit aller Kraft auf die Betonstufen zu schleudern. Sie rief sich ins Gedächtnis, dass Krugman einen Grund dafür hatte, mit ihr härter als mit den meisten ihrer Kollegen umzuspringen. Bill Krugman war Crawford Bells bester Freund gewesen, schon seit ihrer gemeinsamen Zeit an der FBI-Akademie vor über vierzig Jahren. Sie
Weitere Kostenlose Bücher