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Sieh mich an, Al Sony

Sieh mich an, Al Sony

Titel: Sieh mich an, Al Sony Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denise Danks
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und Schokoladenkekspackungen. Esther war ambulante Krankenschwester, und sie und ihr Mann Bill, ein pensionierter Eisenbahnarbeiter, hatten letztes Jahr geheiratet, nachdem sie zehn Jahre zusammengelebt hatten. Die Hochzeitsfeier hatte ungefähr eine Woche gedauert, bis ihre Vorräte an Rum und Red Stripe endlich zur Neige gegangen waren. Esther und ihr Mann hatten Spaß an Partys, und sie hatten Spaß am Essen. Mich fanden sie viel zu dünn.
    »Was machst du jetzt?« fragte sie. Sie stellte mir einen Becher heißen Tee hin und setzte sich mir gegenüber. Langsam entlastete sie ihre Füße von ihrem Gewicht und stützte sich dazu mit ihrem starken, staubig schwarzen Arm auf den Tisch.
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich.
    »Wirst du es ihm sagen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Und deiner Mutter?«
    »Das würde nichts helfen.«
    »Deinem Vater?«
    »Bestimmt nicht. Es würde ihn umhauen.«
    »Vielleicht wärst du überrascht.«
    »Glaube ich nicht.«
    »Was willst du dann machen?«
    »Ich muß es loswerden, nicht?«
    Esther atmete tief durch ihre breite Nase ein.
    »Naja, was kann ich sonst machen?«
    »Du könntest das Kind kriegen.«
    »Ausgeschlossen.«
    »Wieso nicht?«
    »Ich will es nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Weil es ein Fehltritt war.«
    »Woher weißt du, daß du keiner warst?«
    »Ich war wahrscheinlich einer.«
    »Na, dann...«
    Wir tranken schweigend unseren Tee, bis ich Esther bat, sich das Glas noch einmal anzuschauen. Müde stand sie auf und tat mir den Gefallen. Dann deutete sie mit Nachdruck auf meinen Bauch.
    »Keine Veränderung. Du hast ein Baby da drin, und damit hat sich’s.«
    Sie wußte nicht, wer der Vater war, und sie fragte auch nicht. Shinichro kam nicht oft in meine Wohnung, und ich sprach mit niemandem über ihn. Er arbeitete zuviel, und abends verkehrte er häufig mit Kollegen. Er lud mich nie ein, zusammen mit ihnen auszugehen, und er schien auch nicht erpicht darauf zu sein, mit meinen Freunden zusammenzukommen. Meistens war es mir recht, denn wenn wir uns trafen, wollten wir miteinander allein sein. Ich hätte ihm sagen können, daß ich schwanger war, aber meiner Mutter würde ich es nicht erzählen. Ich konnte mir vorstellen, wie sie über ein halb-japanisches Enkelkind dachte. Ich erinnerte mich an ihre komischen kleinen Kommentare, als sie von Warren Graham erfahren hatte, dem Typen, dessen Wohnung ich jetzt hatte. Sie war anscheinend froh gewesen, daß er nicht »zu dunkel« gewesen war, und er war nur ein Freund gewesen. Gewesen. Er war es nicht mehr. Früher mal, da hätte er meine Lage verstanden, hätte mir geholfen, darüber zu reden. Aber jetzt nicht mehr — wo immer der Dreckskerl sein mochte.
    Auch mit meiner besten Freundin hätte ich drüber reden können, aber sie war auch nicht mehr da. Ich wußte aber, was sie gesagt hätte — so was wie: »Laß den Mann mit dem Hoover ran...« Sensibel war sie gewesen, meine Carla. Ich würde es Shinichro sagen müssen. Aber wie konnte ich, wenn das letzte, was ich zu ihm gesagt hatte, »du kleiner Scheißkerl« gewesen war und er mich geohrfeigt hatte, um mir das Maul zu stopfen?
    »Siehst du Warren noch oft?« fragte Esther.
    »Warum?«
    »Ich frage nur.«
    »Nein. Ich sehe ihn gar nicht mehr.«
    »Er war ein netter Junge. Ein guter Junge.«
    »Er war weder das eine noch das andere, Esther.«
    Eine Zeitlang sagte sie gar nichts. Dann fragte sie: »Hast du das Geld?«
    »Wofür?«
    »Für was immer du dich entscheidest.«
    »Geld ist kein Thema.«
    »Dann mußt du dich nur entscheiden.«
    »Ja, weiter nichts.«
     
    Ich hatte keinen Gin. Eine Flasche Gin und ein heißes Bad, das war die alte Methode der Frauen. Sie wußten, daß es nicht funktionieren würde. Es war ein Rezept, das Katharsis und Trost brachte. Ich hatte dafür noch etwas kalten Chardonnay und True Blue auf dem Plattenspieler, laut aufgedreht.
    Ich trank den Wein, und ich tanzte, und ich dachte die ganze Zeit nicht an die Zukunft, sondern an die Vergangenheit, und dabei drehte ich mich mit geschlossenen Augen um mich selbst und fuchtelte mit den Armen wie eine Selbstmordspringerin. Manche Frauen behaupten, den Zeitpunkt der Empfängnis genau zu kennen, jenen hehren Augenblick der Transsubstantiation, den erdbewegenden Moment des Gezeitenwechsels. Wieso zum Teufel kannte ich ihn nicht? War ich faul oder gefühllos oder was? Spermien und Eizellen — nie hatte ich einen Gedanken darauf verwendet. Aber es waren Ebbe und Flut jener warmen, urweltlichen Gezeiten

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