Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
Gepäckträgern, Busfahrern, Lokführern, Köchen in öffentlichen Schulen, Formel-1-Kommentatoren, Zollbeamten und Tankwarten erinnern – Signor Api einmal ausgenommen -, an Streiks von Audio- und Videotechnikern, Lastwagenfahrern, Fährenpersonal sowie an zwei Generalstreiks und eine nicht stattfindende Lottoziehung. Die einzigen Arbeiter und Angestellten, die ich noch nie habe streiken sehen, sind Italiens unermüdliche Hausfrauen. Ihre Arbeitsniederlegung wäre zweifellos die einzige, die der Mehrheit der Italiener überhaupt auffiele.
Die bis zum Äußersten ausgereizten Streikmaßnahmen sind zur Routine geworden – wieder so eine schlechte italienische Angewohnheit. In einem Zeitraum von fünfundzwanzig Tagen gab es nicht weniger als siebenunddreißig Proteste gegen die Regierung. Einen Streik ausrufen ist genauso verbreitet wie »krankfeiern«, mit dem Unterschied, dass man zum Streiken kein ärztliches Attest braucht. Und jetzt kreuzte also das Krankenhauspersonal die Waffen, wie die Italiener eine Arbeitsniederlegung nennen. Anstatt eine Unterbrechung zu riskieren, verschoben wir den Termin lieber ans Ende der Woche.
Faleses ospedale ist etwa eine Stunde mit dem Auto entfernt und befindet sich mitten im Zentrum der kleinen Stadt. Es zu finden ist genauso schwierig, wie Ärzte zu finden, wenn man es einmal betreten hat. Nachdem wir uns unseren Weg durch das Asphaltpatchwork der Stadt gebahnt hatten, liefen wir ähnlich orientierungslos durch den Irrgarten der Flure und suchten nach dem ambulatorio – dem Sprechzimmer des Spezialisten. Zwei Leute, die wir fragten, schickten uns dahin, wo wir hergekommen waren, ein Dritter dirigierte uns zu einem Snack-Automaten, während uns ein Vierter immerhin in die Nähe eines Fünften brachte, der das Problem schließlich löste.
Wer einen Italiener nach dem Weg fragt, bekommt höchst komplizierte Anweisungen. Folgt man ihnen, wird man nur noch mehr in die Irre geführt. Das ist kein böser Wille, sondern liegt an der Komplexität der Antwort, der hypnotischen Kraft von Gesten und den exzentrischen Detailschilderungen. Als sich Daniela einmal auf dem Weg zu einer Besprechung verlaufen hatte, fragte sie eine ältere Frau nach der Schule von Spongano. »Gehen Sie diese Straße entlang«, erklärte die Frau, »und wenn Sie einen Fiat Cinquecento vor einer Bar sehen, biegen Sie links ab.«
»Was, wenn ihn jemand weggefahren hat?«, fragte Daniela.
»Das will ich niemandem geraten haben«, entgegnete die Frau. »Er gehört nämlich mir.«
Nachdem sie 20 Euro bezahlt hatte, der Preis, um sich von einem Spezialisten behandeln zu lassen, leistete mir Daniela im Warteraum des ambulatorio Gesellschaft. Der war ein Flur vor einer Reihe von Zimmern mit den Türschildern ortopedia , pneumologia , dermatologia und, sinnigerweise direkt neben den Toiletten, urologia . Trotz der Stuhlreihen, die beide Wände säumten, zogen es die Patienten vor, in Trauben vor der jeweiligen Tür zu warten. Zu wissen, wo man sich in solchen »Schlangen« einreihen muss, ist genauso schwierig, wie seinen Platz darin zu behalten.
Während wir uns auf der Türschwelle des Arztes drängten wie Möwen, die sich um ein Stück Brot streiten, sah ich, dass jeder Wandschmuck religiös gefärbt war – vom Kruzifix bis zur Werbung für Gebetsgruppen. Das Falese-Krankenhaus wird von Nonnen geführt. Ihrem eisernen Willen ist es laut Daniela zu verdanken, dass es sich in puncto Sauberkeit und gelungene Operationen wohltuend von anderen Krankenhäusern in der Gegend unterscheidet.
Die Zustände in vielen italienischen Krankenhäusern, vor allem im Süden, sind genauso ungesund wie die Patienten. Die Gesundheitsministerin hat das so ausgedrückt: »Die Hälfte aller italienischen Krankenhäuser sollte geschlossen werden. Sie sind alt, veraltet und nicht mehr in der Lage, auf die Bedürfnisse unserer Bürger einzugehen.« Und dann die Ärzte: Die sind entweder begabte Genies oder unbegabte Stümper. Ein australischer Chirurg, der mehrere Jahre in Italien arbeitete, hat mir einmal erzählt, dass auf jeden begabten italienischen medico zwanzig kommen, denen man die Approbation entziehen sollte. Er hatte in Norditalien gearbeitet, und zwar für einen Chirurgen, der verpfuschte Operationen wiedergutmachte. Ein Patient hatte davon nicht weniger als fünfzehn über sich ergehen lassen müssen. Geschichten über die malsanità oder das krank machende Gesundheitssystem gibt es in Italien mehr als genug: Geschichten
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