Sigma Force 05 - Das Messias-Gen
können.
Schließlich lehnte er sich zurück. Das Warten würde sich hinziehen. McBride wippte bereits ungeduldig mit dem Fuß. Die Geräte summten und piepsten. Nach einer Weile ging Dr. Cummings hinaus, um sich mit dem Pathologen zu besprechen. Kat setzte sich auf einen Stuhl an der anderen Bettseite.
Während die erste Stunde langsam verstrich, fiel Juris Blick auf einen Stapel Papier auf dem Nachttisch. Die Ecke einer Seite war mit schwarzem Filzstift beschmiert. Offenbar eine Zeichnung, die Sascha angefertigt hatte. Juri besah sich die Zeichnungen, ohne zu verstehen, was sie bedeuteten. Auf
dem letzten Blatt Papier aber war ein Gesicht abgebildet, das er kannte. Er straffte sich.
Das war der Gefangene von Tscheljabinsk-88.
McBride wusste nichts von dem gefangenen Amerikaner. Niemand hatte ihm davon berichtet. Kat aber hatte Juris Blick anscheinend bemerkt.
»Mein Mann«, sagte sie von der anderen Bettseite aus. »Sascha hat das Bild gezeichnet. Ich glaube, sie hat das Foto in meiner Brieftasche gesehen.«
Er nickte langsam und drehte die Zeichnung um.
Ihr Mann …?
»Weshalb hat sie das wohl getan?«, fragte Kat. Sie kniff ein wenig die Augen zusammen. »Ausgerechnet dieses Bild.«
Juri blickte wieder das Mädchen an. Er hatte Herzklopfen, sein Gesichtsfeld verengte sich. Saschas Zeichnung hatte dem Mann das Leben gerettet. Und jetzt saß er hier bei der Frau des Mannes. Das war ein unglaublicher Zufall, jenseits aller Wahrscheinlichkeit. Was hatte das zu bedeuten?
»Dr. Raew?«, sagte die Frau.
In diesem Moment schlug Sascha die Augen auf, und Juri rückte näher ans Bett. Die Frau erhob sich.
Sascha war noch benommen, ihr Blick unscharf. Ihr herzförmiges Gesicht aber wandte sich Juri zu. » Unchi Pepe …? «
Dieser Name.
Juri dröhnte der Herzschlag in den Ohren, und ihm schien das Blut in den Adern zu gefrieren. Er musste an das dunkle Seitenschiff einer kalten Kirche denken, an ein Kind, das vor einem Steinaltar eine Stoffpuppe an sich drückte und mit blauen Augen zu ihm aufsah.
Die gleichen Worte. Der gleiche Vorwurf.
Unchi Pepe …
Der Kosename Josef Mengeles, des Schlächters von Auschwitz.
Er ergriff Saschas Hand, wobei sich das Blutdruckmessgerät löste.
Nein , versprach er ihr wortlos. Nie wieder .
Tränen traten ihm in die Augen.
Mit ihren Fingerchen hielt sie seine Hand. Ihre Lider flatterten. »Papa … Papa Juri …?«
»Ja«, flüsterte er. »Ich bin da, Kleines. Ich lass dich nicht allein.«
Ihre Lippen bewegten sich, während der Schlaf sie erneut übermannte. Ihre Finger entspannten sich und entglitten ihm. »Marta … Marta hat Angst …«
23:50 Südural
DER KÖRPER WAR noch warm, das Blut jedoch erkaltet.
Das Tier war vor etwa einer Stunde getötet worden.
Leutnant Borsakow nahm die Hand von der Flanke des toten Tigers. Er fasste ihm an den Kopf, packte ein Ohr und
zog es hoch. Beide Ohren waren gleich. Somit handelte es sich um Arkadij.
Er ließ das Ohr wieder herabfallen und richtete sich auf.
Mit der anderen Hand hielt Borsakow seine Waffe, eine Jarygin PJa. Er wünschte, sie hätte ein schwereres Kaliber als 9mm gehabt. Er suchte nach Zakhar. Die Raubkatze war nirgends zu sehen.
Hinter ihm qualmte und kokelte die alte izba .
Beeindruckt von der Flucht, ging er zum Propellerboot hinüber. Der Pilot und zwei Soldaten befanden sich an Bord und gaben ihm mit ihren Sturmgewehren Feuerschutz. Die Scheinwerfer des Sumpfboots bohrten sich in die Dunkelheit. Der große Propeller am Heck drehte sich langsam.
Borsakow kletterte an Bord und zeigte nach vorn. Der Motor heulte auf, der Propeller kam auf Touren, und dann fuhren sie fort von der kokelnden Jagdhütte, hinaus in die Nacht. Mit Infrarot-Zielfernrohren oder Nachtsichtgeräten wäre die Verfolgung einfacher gewesen, doch im Laufe des Tages hatte sich jemand in den Geräteschuppen geschlichen und ihre magere Ausrüstung zerstört.
Entweder der Amerikaner oder die Kinder.
Sie hatten gewusst, dass man sie jagen würde.
»Sollen wir Generalmajorin Martowa Meldung erstatten?«, fragte sein erster Offizier und streckte die Hand zum Funkgerät aus.
Borsakow schüttelte den Kopf.
Die Generalmajorin nahm Misserfolge nicht gut auf.
Das Propellerboot schnurrte durch den Sumpf.
Er würde sich bei ihr melden, sobald der Amerikaner tot war.
Borsakow blickte sich zu der Insel mit den kokelnden Überresten der Jagdhütte und der toten Raubkatze um. Er dachte an den Amerikaner und an das, was er geleistet
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