Sigma Force 05 - Das Messias-Gen
lange an, bis er zu brennen begann.
Er stellte sich vor, die Sterne stürzten kreischend in ihn hinein und füllten seine innere Leere aus. Aus seinen Träumen erwachte er immer, bevor die Sterne ihn verzehrten. Heute jedoch nicht. Pjotr wandelte durch einen Traum, der einfach nicht enden wollte. Er wusste, er hatte eine Grenze überschritten, doch er wusste auch, dass er keine Wahl hatte. Er war dazu bestimmt zu verbrennen.
Mit flammendem Blick schaute Pjotr ins Chaos hinaus. Und indem er durch hundert Augen gleichzeitig blickte, entlockte er dem Chaos ein Muster. Zwar konnte er nicht in die Zukunft schauen - jedenfalls nicht weiter als ein paar Sekunden -, doch seine Ohren nahmen jedes Geräusch auf, seine Augen interpretierten jedes Flackern der Flammen, jede Verlagerung der Schatten, und der tiefe Blick in die fremden Herzen offenbarte ihm, wohin jeder Einzelne sich als Nächstes wenden, ob er um eine Ecke biegen, schießen oder wegrennen würde. Und
da er in diesem Moment auch über eine Spur der Begabung seiner Schwester verfügte, reichten seine Sinne stets ein paar Meter weiter.
Ein Weg nahm aus dem Chaos Gestalt an.
Ein Weg, dem sie folgen konnten.
Pjotr trat auf den Gang, Monk folgte ihm.
Er zeigte nach links - und Monk erschoss den Soldaten, der im nächsten Moment dort auftauchte. Der Mann lernte, sich auf Pjotrs Instinkt zu verlassen. Seine Bewegungen denen des Jungen anzupassen und auf Kommando zu schießen. Er führte blindlings aus, was der Junge ihm vorgab.
Gemeinsam bewegten sie sich durch das Muster.
Geleitet von seinem Instinkt.
Denn das war es, was Pjotr in diesem Moment ausmachte: ein von hundert verschiedenen Begabungen befeuerter Instinkt.
Er hatte den vollkommenen Durchblick. Instinkt ist nichts anderes als die unbewusste Deutung zahlloser subtiler Veränderungen in der Umgebung, die gerade stattfinden oder sich anbahnen. Das Gehirn verarbeitet die chaotischen Informationen, erkennt darin Muster, und der Körper reagiert darauf. Es wirkt wie Magie, doch es ist reine Biologie.
Genau dieser Vorgang lief im Moment in Pjotr ab - wenn auch hundertfach intensiviert.
Er dehnte seine Sinne aus, schaute den Menschen ins Herz, deutete ihre Motivation, berechnete Bewegungsrichtungen, Entfernungen, interpretierte Tonfall, Rauch und Hitze … und so weiter. Die zahllosen Details füllten ihn und das Bewusstsein der hundert anderen Kinder aus. Aus dem Chaos bildeten sich Muster, und er wusste genau, was er tun musste.
»Wohin laufen wir?«, fragte Monk erneut.
Dorthin, wo du gebraucht wirst , antwortete Pjotr lautlos.
Er führte Monk eine weitere Treppe hinunter, dann zog er
ihn auf den Boden nieder, denn vor ihnen wurde geschossen. Als Soldaten vorbeikamen, krochen sie unter eine Reihe von Metalltischen, schließlich ging es eine weitere Treppe hinunter in einen lang gestreckten Kellergang, von dem ein Labyrinth von Räumen und weiteren Gängen abzweigte.
Pjotr beeilte sich.
Er sah zwar das Muster, doch er konnte nicht in die Zukunft blicken. Immer schneller tanzte er an den Fäden des Instinkts entlang, denn der Druck der Zeitalter lastete auf ihm. Die Zeit lief ihnen davon.
Der Mann wurde unruhig; vielleicht spürte er das Gleiche.
»Wohin …?«
Plötzlich war am Ende des Gangs ein überraschter Ausruf zu vernehmen. Pjotr spürte, wie das Herz des Fremden hämmerte. Ungläubiges Erstaunen schwang in seiner Stimme mit.
»Monk!«
Um ein Haar hätte Gray ihn erschossen. Zwei Gestalten waren auf ihn zugerannt, die eine mit angelegter Waffe. Wäre der eine nicht noch ein Junge gewesen, hätte Gray unwillkürlich abgedrückt.
Stattdessen verharrte er wie gelähmt, schwankte zwischen freudigem Wiedererkennen und Bestürzung.
Sein Freund aber handelte. Er drückte ab. Gray verspürte einen Schlag an der Schulter und wurde zurückgeschleudert. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihn.
Kowalski fing ihn auf und brüllte aus vollem Halse: »Monk, du Arschloch! Was soll der Scheiß?«
Der Junge zerrte an dem Mann und zwang ihn, stehen zu bleiben. Verwirrung zeichnete sich in Monks Miene ab. »Wer … wer sind Sie?«
Kowalski schäumte noch immer. »Wer wir sind? Wir sind deine gottverdammten Freunde!«
Gray richtete sich mühsam auf; seine linke Schulter brannte. »Monk, erkennst du uns denn nicht?«
Monk betastete die gerötete und geschwollene Naht hinter seinem Ohr. »Ehrlich gesagt … nein.«
Gray taumelte ihm entgegen. Zahllose Fragen schwirrten ihm durch den Kopf. Das war
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