Sigma Force 06 - Das Flammenzeichen
»Marco hat von unserer Entdeckung erfahren. Und das an einem Ort, wo Christen- und Heidentum seinerzeit im Widerstreit miteinander lagen.«
»Aber es war nicht dieser Konflikt, der ihn hergeführt hat«, sagte Gray und betrachtete das Foto mit der Frau und dem Kind. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Die beiden glichen der Madonna mit dem Jesuskind. Und zwar nicht irgendeiner Madonna. Die Gerbsäure des Torfs hatte die Haut der Frau bräunlich-schwarz gefärbt.
»Ich habe ihm ein Foto der Mumien geschickt. Am nächsten Tag war er hier. Er interessierte sich für alle Hinweise auf schwarze Madonnen. Nach einem Leichenfund an einer heiligen heidnischen Begräbnisstätte, in einem Land, wo sich Christentum und Überlieferung damals noch mischten, wollte er sich mit eigenen Augen vergewissern, ob es hier eine Verbindung zum Mythos der dunklen Göttin gab.«
»Und gab es die?«, fragte Rachel.
»Dieser Frage ist Marco in den vergangenen Jahren nachgegangen. Im Zuge der Nachforschungen bereiste er die britischen Inseln. Vergangenen Monat wirkte er besonders aufgeregt. Allerdings wollte er den Grund nicht verraten.«
»Und was halten Sie von den Mumien?«, fragte Gray.
»Wie ich schon sagte, haben wir keine Misteln entdeckt. Ich glaube, sie waren schon tot, als man sie im Moor bestattet hat. Aber wer hat sie bestattet und warum? Das wollte ich herausfinden. «
»Und weiter?«, sagte Gray. Der Mann spannte sie bewusst auf die Folter, und das war ärgerlich.
»Ich habe da eine Hypothese«, räumte Wallace ein. »Sie geht zurück zu den Anfängen der Untersuchung. Zum Domesday Book . Das nahe gelegene Dorf oder Städtchen wurde seinerzeit verwüstet. Im Zuge einer furchtbaren Katastrophe wurde
der Ort dem Boden gleichgemacht und von den Landkarten getilgt. Übrig geblieben sind der Hinweis in dem dicken Wälzer und der Eintrag in Martin Borrs Tagebuch. Was war der Grund für diese Maßnahme? Ich glaube, der Anlass war eine Seuche oder Krankheit. Um deren Ausbreitung zu verhindern und den Vorfall unter Verschluss zu halten, hat man den Ort zerstört.«
»Aber was ist mit den beiden Toten?« Rachel nickte zu den Fotos hinüber.
»Schließen Sie die Augen und versetzen Sie sich zurück in jene Siedlung. An einen abgelegenen Ort, wo eine gefährliche Krankheit ausgebrochen war. In ein Dorf, wo fromme Christen und Anhänger der heidnischen Überlieferung lebten, die sicherlich auch von dem Steinkreis wussten und dort vielleicht noch immer ihre Rituale praktizierten. Als das Verhängnis über das Tal hereinbrach, beteten beide Seiten zu ihren jeweiligen Göttern. Einige sicherten sich vermutlich zusätzlich ab, indem sie bei beiden Überlieferungen Zuflucht suchten. Sie nahmen eine Mutter und deren Säugling, die für die Muttergottes mit dem Jesuskind standen, und bestatteten sie an diesem uralten heidnischen Ort. Ich glaube, diese beiden sind die Einzigen, die dem reinigenden Feuer entronnen sind und noch heute von jener Seuche künden.«
Wallace tippte auf das Sektionsfoto. »Dieses Dorf hat ein eigenartiges Schicksal ereilt. In den Annalen der Medizin ist nichts Vergleichbares verzeichnet. Die Leichen werden noch untersucht, und zwar im Geheimen. Nicht einmal ich weiß über den Stand der Dinge Bescheid.«
»Hätte man Sie nicht auf dem Laufenden halten müssen?«, fragte Gray. »Schließlich sind Sie ordentlicher Professor an der Universität von Edinburgh.«
Wallace runzelte verwirrt die Stirn, dann entspannte er sich. »Oh, Sie haben mich falsch verstanden. Als ich von der Universität sprach, meinte ich nicht Edinburgh. Meine Arbeit wird
mit Fremdmitteln finanziert. Das ist keineswegs unüblich. Für Feldstudien nimmt man die Mittel in Anspruch, die einem angeboten werden, ganz gleich, woher sie kommen.«
»Also, wer hat die Toten übernommen?«
»Sie wurden zum Zweck der gründlichen Untersuchung an die Universität von Oslo geschickt.«
Gray hatte das Gefühl, jemand habe ihm einen Tiefschlag versetzt. Für einen Moment verschlug es ihm die Sprache. Oslo . Das war die erste greifbare Verbindung zwischen diesem Ort hier und Painter Crowes Ermittlung in Norwegen.
Während Gray sich die Implikationen klar zu machen versuchte, fuhr Wallace fort. »Ich nehme an, letztlich läuft alles auf Extremophile hinaus.«
Seine scheinbar zusammenhanglose Bemerkung ließ Gray aufmerken. »Wovon sprechen Sie da eigentlich?«
»Von der Finanzierung der Ausgrabungen«, sagte Wallace in einem Ton, als läge das auf der Hand.
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