Sigma Force 06 - Das Flammenzeichen
die stählerne Thermosflasche. Sie hatte den Tee warm gehalten. Die Wärme diente allerdings auch dazu, ein Biotoxin zu inkubieren. Nachdem Dr. Boyle die Herkunft seiner Forschungsgelder preisgegeben hatte, war die Unterhaltung um Extremophile gekreist. Ihr Toxin stammte von einem Bakterium, das in einem Vulkanschlot in Chile entdeckt worden war. Da es kälteempfindlich war, musste es warm gehalten werden.
Niemandem war aufgefallen, dass nur Rachel vom Tee getrunken hatte.
Seichan hatte nur so getan.
Sie schob die Zigarette in die Packung zurück, ging zu einer Schneewehe und füllte die Thermosflasche mit Schnee. Die Kälte würde den Inhalt sterilisieren und die verbliebenen Bakterien abtöten. Als die Thermosflasche voll war, schraubte sie sie wieder zu. Sie setzte den Verschluss schief auf, sodass er festklemmte. Verärgert mühte sie sich eine Weile damit ab, dann holte sie zornig aus und schleuderte die Thermosflasche in den Wald.
Ihr Atem dampfte in der kalten Luft.
Sie weinte nicht – und aus irgendeinem Grund half ihr das, sich wieder zu fassen.
Die Tür der anderen Zelthütte wurde knarrend geöffnet. Sie teilte sich die Hütte mit Rachel; die Männer schliefen für sich. Sie trat ein Stück vor, denn sie wollte wissen, wer um diese Zeit noch auf war.
Die große Gestalt mit dem schwerfälligen Gang war unverkennbar. Als Kowalski sie bemerkte, zeigte er zur Koppel.
»Muss mal für kleine Jungs«, meinte er und verschwand um die Ecke.
Es dauerte einen Moment, ehe sie begriff, was er meinte. Sie war wirklich von der Rolle. Sie hörte, wie er beim Pinkeln leise vor sich hin pfiff.
Sie sah auf die Uhr. Es war kurz vor Mitternacht. Der Zeitplan stand fest. Es gab kein Zurück. Sie hatten genügend Zeit gehabt, die Ausgrabungsstätte in Augenschein zu nehmen. Die Gilde würde Gray gerade so viel Bewegungsspielraum lassen, dass er Pater Giovannis Spur weiterverfolgen und als Erster den Schlüssel finden könnte. Ihre Bitte um Aufschub war auf Ablehnung gestoßen. Sei’s drum. Sie würden weiterziehen müssen.
Sie blickte zur anderen Hütte. Kowalski sollte sich besser beeilen. Doch das tat er nicht. Nach einiger Zeit kam er zurückgestapft, pfiff dabei leise vor sich hin.
»Können Sie nicht schlafen?«, meinte er dann.
Sie nahm eine Zigarette aus der Packung und zeigte sie ihm als Erklärung.
»Die bringen einen um.« Er holte einen Zigarrenstummel aus der Tasche und hielt ihn hoch. »Also sollte man’s schnell hinter sich bringen.«
Er klemmte sich das zerkaute Ende des Stummels zwischen die Zähne, holte eine Schachtel Streichhölzer hervor und strich zwei Streichhölzer an der Zeltplane an. Zwei Flammen loderten auf. Das eine Streichholz reichte er Seichan. Offenbar machte er das nicht zum ersten Mal.
Mit der Zigarre im Mund sagte er: »Gray hat sich gerade hingelegt. Hat über zwei Stunden lang versucht, noch etwas aus dem alten Professor herauszuholen. Ich musste mal an die frische Luft. Der Hund mieft. Ist ja auch kein Wunder. Haben
Sie gesehen, was der verfluchte Köter frisst? Würste und Zwiebeln. Was ist denn das für ein Hund?«
Seichan steckte sich die Zigarette an. Sie ließ Kowalski weitergrummeln, froh über die Gesellschaft. Allerdings verfolgte er mit seinem Gebrabbel eine Absicht – und dann kam er auch schon zur Sache.
»Also«, sagte er, »was läuft zwischen Ihnen und Gray?«
Seichan verschluckte sich am Rauch.
»Ich meine, ständig guckt er Sie an. Und Sie gucken durch ihn hindurch, als wär er ein Gespenst. Wie zwei ineinander verknallte Schulgören.«
Seichan wollte bereits alles abstreiten, musste sich aber widerwillig eingestehen, dass der Mann der Wahrheit durchaus nahe gekommen war. Zum Glück wurde sie einer Antwort enthoben.
Punkt Mitternacht explodierte das Tal.
Im Wald schossen Flammen in den Himmel, eine nach der anderen. Gleichzeitig waren schwache Explosionen zu vernehmen, die man leicht hätte überhören können. Die Brandsätze enthielten Rubidium, das Wasser in einen Brandbeschleuniger verwandelte, und waren tief im feuchten Torf vergraben gewesen. Der Zünder war auf Mitternacht eingestellt gewesen. Das ganze Tal sollte verbrennen.
Mitten im Steinkreis gingen drei weitere Ladungen hoch. Feuerspiralen schraubten sich in den Himmel.
Trotz der Entfernung spürte sie die Hitze im Gesicht.
Ihre Begleiter kamen aus den Hütten gerannt. Kowalski fluchte.
Sie drehte sich nicht um, von den Flammen wie hypnotisiert. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals.
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